Gewichtiges Bündnis zwischen Russland und der Türkei bei Kernenergie und Pipelines im Entstehen –Auswirkungen auf Europa – Rolle der USA
Walter Grobe, 16.05.2010
„Russland spaltet das Atom in Anatolien“ – unter diesem Titel kann man in der „Asia Times online“ v. 15. Mai 2010 einen ausführlichen Bericht über weitreichende Abkommen lesen, die zwischen Russland und der Türkei beim jüngsten Besuch von Medwedjew in Ankara in der vergangenen Woche geschlossen wurden. Das wichtigste Abkommen sieht den Bau von 4 Kernkraftwerken an der südlichen Mittelmeerküste der Türkei durch die russische Staatsfirma Rosatom vor. (http://www.atimes.com/atimes/Central_Asia/LE15Ag01.html)
Ganz ungewöhnlich sind an diesem Abkommen die vereinbarten Eigentumsregeln, die von einem sehr hohen Grad an Interessenverschmelzung zeugen: Rosatom wird die Kontrolle der Anlagen erhalten und den Strom verkaufen. Rosatom wird zu diesem Zweck zunächst eine 100prozentige Tochterfirma gründen, die im weiteren bis zu 49% der Anteile zum Verkauf an Investoren aus der Türkei oder dritten Ländern anbieten wird. Die 20 Mrd. Dollar, die Rosatom für das Projekt aufbringen will, sollen durch den Verkauf des Stroms zu 50% an die türkische staatliche Stromverteilung und zu 50% an den unregulierten Markt des Landes innerhalb von 15 Jahren wieder hereinkommen. 20% der Profite soll Rosatom an den türkischen Staat abführen. Rosatom erhält auch die Möglichkeit zur Herstellung nuklearer Brennelemente in der Türkei.
Derzeit werde zwischen der Türkei und Russland auch ein wichtiges gemeinsames Projekt auf dem Gebiet der internationalen Öl-Pipelines diskutiert, heißt es in „Asia Times online“ weiter. Russland könne sich möglicherweise an dem ursprünglich von der Türkei und Italien initiierten Projekt einer Nord-Süd-Pipeline beteiligen, die vom Kaspischen Meer zum Mittelmeer führen soll.
„Praktisch hilft Russland der Türkei in ihrem Bestreben, ein globaler Knotenpunkt des Energietransports zu werden, während Moskau von Ankara erwartet, keine Pipelineprojekte zu verfolgen, die in Rivalität zu denen Russlands stehen. Die beiden Länder rücken näher aneinander zu einer Kooperation bei dem von Russland unterstützten South-Stream-Gaspipeline-Projekt, das die südeuropäischen Märkte an Russlands Energiequellen bindet.“
Im weiteren kommt der Autor des Artikels in der „Asia Times online“, M.K. Bhadrakumar, zu politischen Bewertungen dieser Zusammenarbeit im Hinblick auf Europa. Beide Länder erhöhten damit ihre Stärke gegenüber Europa. Das betreffe sowohl zukünftige Abkommen über Energielieferungen wie auch die Frage der EU-Mitgliedschaft der Türkei. Die Allianz Russland-Türkei könnte auch, mutmaßt Bhadrakumar, stärkeren Einfluß auf den vorderöstlichen Raum, die Israel-Palästina-Frage, die Stellung Irans etc. nehmen als bisher.
Ein höchst wichtiger Aspekt der geschilderten Zusammenarbeit betrifft die Rolle der USA, die lt. Bhadrakumar derzeit Russland einen deutlich größeren diplomatischen Spielraum lasse als bisher. So sei es zu erklären, daß Russland nicht nur mit der Ukraine zu Abkommen habe kommen können, die zu seinen Gunsten ausfallen, sondern nunmehr auch mit einem Schlüsselmitglied der NATO, der Türkei, eine privilegierte Partnerschaft mit geostrategischem Gewicht eingehen dürfe.
Daß sich diese zum Nachteil Europas auswirken könne, spricht der Artikel unverblümt aus. Ich möchte ergänzen: wenn die USA in gewisser Weise die russisch-türkischen Absichten gegenüber Europa sich materialisieren lassen, sie faktisch fördern, dann kann man daran sehen, wie sich die Rivalität der USA mit der EU noch weiter verschärft; genauer gesagt, die feindseligen Absichten der USA gegenüber den europäischen Ländern und Völkern treten immer klarer hervor.
Es ist sicher nicht zu kritisieren, daß die Türkei sich industriell entwickeln will und sicherere und modernere Grundlagen ihrer Energieversorgung aufbaut, es ist auch an sich nicht schlecht, wenn sie mit wichtigen Nachbarn wie Russland zu besseren Beziehungen kommen möchte.
Unter der Bedingung allerdings, daß in Europa – unter entscheidender Verantwortung solcher deutscher Regierungen wie der von Schröder-Fischer und dann der Merkelschen Großen Koalition und der neuen Merkelschen Regierung – die Grundlagen der eigenen Energieversorgung immer weiter untergraben und die Abhängigkeit von Energielieferungen anderer Staaten immer weiter gesteigert werden, wachsen die Erpressungsmöglichkeiten gegenüber Europa ständig weiter. Es handelt sich nicht nur um Staaten wie Russland und die Türkei, die von imperialen Absichten gegenüber den europäischen Völkern nie wirklich Abstand genommen haben; es handelt sich auch darum, daß der Noch-Oberherr, die USA, mit der Begünstigung solcher Entwicklungsmöglichkeiten sein eigenes Erpressungs- und Kriegspotential gegenüber Europa steigert. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß die USA taktische Verbindungen mit solchen regionalen Machtfaktoren wie einer – möglicherweise – kommenden Allianz Russland-Türkei eingehen und sie ggf. gegenüber Europa vorschicken, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Vielleicht würden die USA sogar heuchlerisch den Europäern ihre „Hilfe“ anbieten – die natürlich ihren Preis hätte…
Jedenfalls muß die selbstmörderische grüne Energiepolitik der verschiedenen deutschen Regierungen als einer der massivsten Faktoren des europäischen wirtschaftlichen Niedergangs und der europäischen Erpressbarkeit entschiedenst angegriffen werden. Das würde letztlich auch den Völkern der Türkei und Russland zugute kommen, denn die Entwicklung von Kernenergie und Pipelines in diesen Ländern kann natürlich auch und besser vorankommen ohne solche politischen Mit-Zwecke wie die Steigerung der Erpressbarkeit anderer Länder.
Am Rande: die Verkommenheit deutscher Medien läßt sich u.a. daran erneut ablesen, daß der russisch-türkische Deal bisher kaum berichtet wird. Die „Welt online“ hatte einen kürzeren Artikel dazu, der die politischen Dimensionen und Hintergründe kaum erwähnt, doch erneut einen ausdrücklichen Beitrag zur Anti-Kernenergie-Mentalität im eigenen Lande versucht, indem angebliche Ängste von Bevölkerungsteilen an angeblich vorgesehenen Standorten der neuen Kernkraftwerke in der Türkei geschildert werden. Soll eine Unterstützung solcher Regungen, die, wenn sie überhaupt existieren, jedenfalls grundsätzlich fragwürdigen und angesichts der türkischen Bedingungen unbedeutenden Charakter tragen, die Antwort aus unserem Lande auf die Entwicklungen sein? Es geht doch um ganz andere Dinge.