Die Verschärfung der Krise – Stand Anfang Sept. 2011 – die EU

In der jetzt konkreter werdenden weiteren Stufe der Krise wird es massive Zusammenbrüche bisher unbekannter Dimensionen geben. Den Aktienmärkten, Banken, Schattenbanken, Staatshaushalten: allen, denen in den letzten 3 Jahren durch staatliche Wechsel auf die Zukunft die unmittelbare Pleite erspart geblieben ist, bzw. die, wie die großen Banken, Hedgefonds etc. aufgrund der staatlichen Hilfen eine noch unverschämtere Geldmacherei als zuvor betreiben konnten, stehen ökonomisch extreme Unsicherheit, Pleiten und alles in allem der Ausbruch gesellschaftlicher Unruhe bis hin zu Kriegen ins Haus. Der Kapitalismus insgesamt wird sich in sehr viel unschöneren Formen präsentieren als man in solchen relativ priviligierten Zonen wie großen Teilen Europas in den letzten Jahrzehnten gesehen hat.

 

Die Staaten und „die Finanzmärkte“ waren bisher ein untrennbares Gespann geblieben. Alles, was die letzteren verlangten, um den von ihnen selbst herbeigeführten Bankrott in eine noch größere Gewinnparty zu verwandeln als je zuvor, haben die Staaten ihnen auf Kosten ihrer Bürger gegeben. Ein gutes Beispiel neben den großen „Playern“ in USA und Großbritannien sind die Deutsche Bank und die Politik von Merkel etc. Jetzt drängen „die Finanzmärkte“, sprich diese „Player“, weitere Staaten, ganze Staatengruppen wie die EU, an den Rand des Abgrunds und gedenken, wie zuvor aus der hochgetriebenen Schuldenmacherei dieser Staaten, jetzt aus dem Zusammenbruch der schuldenmachenden Staaten den großen Reibach zu ziehen. Solange die Regierungen dieselben bleiben wie bisher, werden sie ihnen nichts Wesentliches entgegensetzen.

 

Aber es ist nicht nur diese Art von Geschäftsinstinkt „der Finanzmärkte“, über den jetzt durchaus auch Erhellendes und Entlarvendes geschrieben wird, sondern es ist über alledem und vor allem Politik, über die man sich orientieren muß. Die internationale Politik dreht sich mE jetzt zunehmend um Fragen wie: welcher Staat, welche Staatengruppe geht jetzt unmittelbar in den Bankrott, sodaß andere konkurrierende Staaten bzw. Staatengruppen sich aus der Pleite des Gegenparts sanieren können. Gehen die USA pleite? China? Die EU? Wer zuerst, damit wer überleben kann?

 

Hier sollte man sich einige fundamentale Gegebenheiten vergegenwärtigen.

 

Nehmen wir zunächst die USA. Es ist zwar wahr, daß die USA unter solchen Aspekten wie Verschuldung des Gesamtstaats, der Einzelstaaten, der Kommunen, der einzelnen Bürger usf. in der Welt die Spitzenposition einnehmen,  und wenn Standard & Poors etwas anderes wäre als ein Herrschaftsinstrument eben dieser USA, hätten die USA selbst CCC-minus-Status und Griechenland bloß BBB-minus. Aber solche ökonomischen Daten klären nicht über politische Macht auf und daher auch nicht über die Fähigkeit, sich weiter der Finanzquellen der Welt zu bemächtigen und zu bedienen. Man muß konstatieren, daß die USA so pleite sein mögen wie sie es nun einmal sind, und trotzdem nehmen „die Finanzmärkte“ weiterhin ganz überwiegend nicht die USA, sondern andere Staaten ins Visier. Das hängt sicher auch mit der militärischen, politisch-subversiven und geheimdienstlichen Durchdringung der Welt durch die USA zusammen (gegenwärtiges deutlichstes Anschauungsbeispiel die Unruhe in der arabischen Welt und weiteren islamisch geprägten Zonen wie Pakistan), der gegenüber die entsprechenden Bemühungen anderer, potentieller Gegner, nehmen wir einmal China als Beispiel, nur eine sehr geringe Rolle spielen. Die militärisch-politische Macht der USA wird weiterhin von „den Finanzmärkten“ finanziert.

 

Man muß mE davon ausgehen, daß gegenwärtig bereits und zunehmend offen in den kommenden Monaten solche Machtfaktoren ausgespielt werden und es zu offeneren Austragung von Gegensätzen kommt, die auch die Form weiterer militärischer Zuspitzungen annehmen können. Diese können an allen möglichen Stellen ausbrechen. Nicht umsonst wird die Frage ‚Krieg gegen Iran’ jetzt wieder stärker betont. Das ganze Geheul wegen des Vorgehens des syrischen Regimes dient der Einleitung eines Regimewechsels dort und damit der Isolierung Irans, dessen wichtigste Verbündete bisher Syrien und die libanesische Hisbollah sind. Wenn diese bisherigen Verbündeten entscheidend geschwächt sind bzw. ausfallen, könnte der Iran tatsächlich doch noch militärisches Angriffsziel werden. Der ganze mittelöstliche Raum wäre betroffen, und damit unmittelbar auch Europa. Was wir für Medien haben, wird auch an dieser Propaganda deutlich.

 

Aber es wäre falsch, jetzt nur auf diesen offensichtlichen und seit langem schon etablierten, man könnte fast sagen: traditionellen Konfliktraum zu schauen.

 

Es wird in vielen Ländern zu sozialen Unruhen kommen, auch im Kern der EU sind solche durchaus möglich. Wegen der bisherigen politischen Abstinenz und Unerfahrenheit der großen Mehrheit der europäischen Bürger, die bisher vom finanzkapitalistisch-bürokratischen Gespann in scheinbarer sozialer Sicherheit und, insbesondere in Deutschland, in ökologistisch-pazifistischem Aberglauben gewiegt wurden, könnten soziale Bewegungen u.U. gerade von denen manipuliert werden, gegen die sie sich eigentlich richten. Soziale Bewegungen gegen den Kapitalismus überhaupt, gegen die Undemokratie in der EU und die finanzkapitalistisch-bürokratische Diktatur sind notwendig, aber sie werden erheblich andere politische Prinzipien finden müssen als das, was in den letzten Jahrzehnten, über die öffentlichen Medien vermittelt, der Standard war. Andernfalls könnte der europäische Zusammenhalt auch durch sog. Sozialbewegungen, denen sowohl die berechtigten nationalen wie die erforderlichen internationalistischen Maßstäbe abgehen und die auch nicht fähig sind, dem Kapitalismus neue kollektive Strukturen entgegenzusetzen, weiter unterminiert werden mit den entsprechenen katastrophalen Folgen für die Mehrheit der Bürger. Eine „Linke“, deren ganzes Konzept auf noch mehr Staatsverschuldung, d.h. noch mehr Macht für Staatsbürokratie und „Finanzmärkte“ und mehr Entmündigung und Enteignung der Bürger, auf weitere wirtschaftliche Lähmung und Untergrabung der Nationen und oft auch auf direkte Verneinung des europäischen Zusammenschlusses hinausläuft, ist ein Gegenbeispiel für das, was notwendig ist.

 

Zur EU müssen mE weitere Gesichtspunkte angedeutet werden. Dieser potentielle Konkurrent und politische Widersacher der USA weist verschiedene Schwächen auf, die zu schweren Niederlagen und gesellschaftlichen Katastrophen führen können. Solche Schwächen sind:

 

– Die wirtschaftliche Unterentwicklung der EU, wenn man sie als Ganzes nimmt. Z.B. in Form des krassen Ungleichgewichts in der Eurozone zwischen -. auf der einen Seite – dem industriell noch relativ aktiven und potenten Deutschland sowie Ländern wie Frankreich, Niederlande, Österreich, die ökonomisch vergleichsweise noch relativ diversifiziert und flexibel sind, und auf der anderen Seite großen anderen Zonen wie Griechenland, Portugal, großen Teilen Italiens, und anderen Ländern, wo sich industriell wenig getan hat, wo Landwirtschaft, Tourismus, ein von vornherein wackliger irrwitziger  Bauboom wie in Spanien, das Verzehren von EU-Mitteln, Korruption und Kriminalität die ökonomischen Hauptstützen der Gesellschaft sind.

 

– Die politische Schwäche der EU aufgrund der verfehlten Konstruktion, die keine demokratische und nicht einmal eine wirtschaftspolitische, sondern bloß eine finanzkapitalistisch-bürokratische ist. Die EU stellt eben ein solches bürgerfeindliches Gespann aus internationalen „Finanzmärkten“ und staatlichen bzw. überstaatlichen Bürokratien dar, wie es in großen Teilen der Welt der Auslöser und der Verschärfer der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus ist. Hinzu kommt die zunehmende Öko-Orientierung Deutschlands, die zum Verlust der internationalen industriellen Konkurrenzfähigkeit und zur weiteren Durchdringung der Gesellschaft mit dem finanzkapitalistischen Spekulantengeist führt.

 

Das sind Beispiele großer Schwachpunkte der Staatengemeinschaft, die sich EU oder, zu einem Teil,  Euroraum nennt. (Recht interessant ist die Diskussion in britischen Medien, weil Großbritannien einerseits ein Hauptstandort der „Finanzmärkte“ und enger Partner der USA ist, andererseits sich seine „Finanzmärkte“ gerade auch von der relativen industriellen Noch-Potenz im Euroraum nähren. Hier werden, zumindest in Worten, traditionelle „Euro-Skeptiker“ zu Befürwortern des Euro und des Zusammenhalts des Euroraums und diskutieren relativ sachlich einen Teil seiner Schwächen in der Befürchtung, daß es auch ihnen selbst noch schlechter gehen könnte, wenn er baden geht.)

 

Aufgrund der verfehlten bisherigen Konstruktion der europäischen Einheit als finanzkapitalistisch-bürokratischer Moloch greift gerade auch in Deutschland jetzt eine Propaganda um sich, als wäre Deutschland ohne den Euro besser dran, als sollte es „die Griechen“ und andere endlich pleite gehen lassen statt die Vermögen seiner Bürger zur Aufrechterhaltung ausländischer Mißwirtschaften zu verplempern, etc. Diese Ideen sind grundfaul, z.B. weil es sich bei den „Hilfen für Griechenland“ und für andere überhaupt nicht um Hilfen für die griechischen Bürger handelt, sondern um weitere Subventionen für das korrupte internationale Gespann aus „Finanzmärkten“ (einschließlich deutscher, französischer etc.  Banken) und der Regierungsbürokratien vom Schlage der Papandreou, Berlusconi und Merkel. Eben das Gespann, das für die griechische, die italienische und auch die sich immer mehr abzeichnende deutsche Misere verantwortlich ist, genehmigt sich jetzt weitere Subventionen in eigener Machtvollkommenheit und geht dem eigenen Bürger zunehmend feindlich an die Substanz. Die deutschen Vermögenswahrer, die jetzt blutige Zehen bekommen, hatten sich bisher mit ebendiesem System in der großen Mehrzahl gut arrangiert, weil gerade sie davon profitiert hatten. Jetzt sehen sie in einer wenigstens teilweisen Rettung dieses Systems durch die Zerschlagung von europäischen Strukturen ihre Zukunft. Sie kritisieren aber nicht den Finanzkapitalismus, geschweige denn den Kapitalismus überhaupt, sie sehen nicht den inneren Zusammenhang der verschiedenen Formen des Kapitalismus, sondern nur ihre weitere Teilnahme an dessen Profiten, auf die sie nun in anderen Konstellationen hoffen.

 

Auf welche Weise die europäischen Länder in der Krise zusammenhalten können, damit sie nicht einzeln zum Schlachtopfer „der Finanzmärkte“, d.h. letztlich vor allem der USA, werden, ist bisher unklar. Mit dieser bisherigen Politik und den bisherigen Parteien nicht, diese werden vielmehr zum beschleunigten Zerfall führen. Vielleicht gelingt es bestimmten Kräften in der bisherigen europäischen Machtstruktur noch für kurze Zeit weiter zusammenzubleiben, aber das Ende ist abzusehen. Der zunehmende Zerfall untereinander und die wachsende soziale Katastrophe werden die verschiedenen einzelnen Elemente der europäischen Bourgeoisie in die wachsende Unterordnung unter die USA oder andere äußere Mächte treiben, wenn nicht die Grundfragen auf den Tisch kommen und ganz andere Bewegungen sich bilden als bisher. Der Euro selbst ist nicht der Kern der Sache, sondern nur ein Mittel, ein Ausdruck eines bestimmten internationalen Systems. Dieses ist im Umbruch, dieser Umbruch kann in Europa zu gesellschaftlichen Katastrophen führen. Es geht um die richtige künftige politische Orientierung der europäischen Nationen; ob der Euro dabei erhalten bleibt oder nicht, ist, soweit ich das verstehe, nicht unbedingt ausschlaggebend. Er kann sowieso nicht das Hauptmittel europäischer politischer Zusammenschlüsse sein. Vielleicht geht er in deren Entwicklung unter, vielleicht bleibt er als ein Mittel erhalten, aber er kann nicht das zentrale Mittel bleiben oder gar zum Ziel oder Negativ-Ziel als solcher werden.

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Die vorstehenden Bemerkungen geben einige Gesichtspunkte wieder, die ich für die Orientierung in diesen turbulenter werdenden Tagen benutze. Ich hoffe damit anderen einige Anregungen geben zu können, meine aber nicht, daß diese Gesichtspunkte unbedingt völlig richtig formuliert sind oder nicht durch wesentliche andere ergänzt werden könnten bzw. müßten. Es handelt sich natürlich auch noch lange nicht um eine umfassende Analyse der Lage, oder um politisch-praktische Vorschläge.

Weiterhin halte ich allerdings, das wurde hoffentlich spürbar, prinzipielle Kritik am Kapitalismus mit dem Ziel des Übergangs zu gesellschaftlichen Formen des Eigentums und der entsprechenden politischen und kulturellen Selbstbefreiung der großen Mehrheit für notwendig. Als ein aktuelles Teilmoment sehe ich die Stärkung des Zusammenhalts der europäischen Nationen für wichtig an. Die praktische Solidarität mit progressiven Bewegungen in allen anderen Weltregionen ist mindestens ebenso wichtig. Ich muß zugeben, daß diese Frage in meinen Beiträgen bisher zu kurz gekommen ist.

 

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