Die Zukunft Afghanistans – und eine merkwürdig verkrüppelte Analyse der „Jungen Welt“ und der Partei „Die Linke“

In einem Artikel der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, die auch als Sprecherin der Fraktion „Die Linke“ für internationale Beziehungen fungiert, wird eine Bilanz des mittlerweile 11-jährigen Afghanistan-Unternehmens der USA und anderer NATO-Staaten gezogen, anläßlich des aktuellen Geredes über Truppenabzug etc.

http://www.jungewelt.de/2012/07-21/053.php

Dagdelen gibt einen Überblick über die Konzeptionen der künftigen militärischen und geheimdienstlichen, nicht zuletzt auch finanziellen Präsenz vor allem der USA, aber auch der Bundesrepublik und anderer in diesem Land. Sie sagt u.a.:

„Bereits 2008 sah Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen mit Rückgriff auf den früheren US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski eine wesentliche Triebfeder des Krieges in Afghanistan darin, einen Brückenkopf der NATO nahe der ölreichen Kaspi-Region und an der Südflanke Rußlands aufzubauen – eine Art Flugzeugträger im riesigen eurasischen Landmassiv.“

Die Kennzeichung „Brückenkopf der NATO“ ist sicher nicht falsch.

Doch Einiges ist auch recht krumm und unvollständig an diesen Sätzen:

-„Bereits 2008“ soll die „Informationsstelle Militarisierung in Tübingen“ so klar geblickt haben? Das war alles doch bereits 2001 klar, in dem Moment, als die USA den Untergang der Twin Towers  als Propagandatarnung ihrer Militärexpedition nutzten. Da muß man nur einmal die Veröffentlichungen bspw. der „Gruppe Neue Einheit“ in den ersten Tagen und Monaten nach dem 11. September 2001 nachlesen. Auch andere sahen das damals ganz unmittelbar so oder so ähnlich. Wenn die „Informationsstelle Militarisierung“ die Dinge tatsächlich erst 2008 hat so deuten können,  müßte man sie eigentlich als ausgesprochenen Spätzünder mit beschlagenen Brillengläsern bezeichnen.

-„Brückenkopf der NATO nahe der ölreichen Kaspi-Region und an der Südflanke Rußlands“ ist auch nicht falsch. Es fehlt aber die Frage China. Afghanistan hat keine gemeinsame Grenze mit Rußland, aber eine mit China. (Zwischen Afghanistan und Russland liegen Usbekistan, Tadschikistan und andere Staaten; könnte es sein, daß in der Fraktion „Die Linke“ diese Staaten noch immer eigentlich unter dem Aspekt ihrer früheren Zugehörigkeit zur früheren Sowjetunion gesehen werden?)

Die Frage China ist und war bereits 2001 für die USA eine jedenfalls nicht weniger wichtige und nicht weniger komplizierte Zukunftsfrage als die Frage Rußland. Die nunmehr vertraglich vereinbarte weitere militärische und geheimdienstliche Präsenz der USA in Afghanistan, abgestützt durch Bündnisse mit regionalen Machtcliquen in Afghanistan, aber auch Pakistan, Indien etc. , richtet sich jedenfalls auch gegen China, möglicherweise sogar schwerpunktmäßig gegen China. Gegen wen sie sich in der weiteren Entwicklung vorrangig und zu welchem Zeitpunkt richten wird, läßt sich nicht voraussagen. Wird es ein Bündnis der USA mit Rußland zwecks Vorgehens gegen China geben? Werden sich die USA und China zusammentun, um Russland zu schlachten? Welches Schicksal erwächst den zentralasiatischen Staaten wie Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan etc., welches dem innerlich  höchst wackligen Pakistan? Für alle diese Fragen ist die Präsenz der USA und anderer Mächte in Afghanistan zukünftig von zentraler Bedeutung. Was für ein eigenartig verkürztes Bild der internationalen Beziehungen kultiviert die Fraktion „Die Linke“ eigentlich, wenn ihre Sprecherin wesentlichste Komponenten ausläßt?

– Von Anfang an, seit 2001, war auch die Rolle der Bundesrepublik in Afghanistan nicht so simpel als bloßer NATO-Partner der USA und Hilfstruppe einzuordnen, wie das hier einmal mehr geschieht. Man darf nicht vergessen, daß fast zeitgleich mit der Weigerung von Deutschland im Bunde mit Frankreich und Rußland, den Überfall der USA auf den Irak abzusegnen und daran teilzunehmen (2002-2003), Deutschland bereits Ende 2001 eine massive Militärexpedition nach Afghanistan unternommen hat, angeblich aus Solidarität mit dem „angegriffenen“ NATO-Partner USA. Diese Initiative wurde seinerzeit interessanterweise von den USA nur mit heruntergezogenem Mundwinkel und etwas überrascht zur Kenntnis genommen. Die untergründigen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und den USA über die Rolle des deutschen Expeditionskorps, die Fragen seiner Ein- und Unterordnung unter die Strategie der USA haben seitdem nie aufgehört.

Ich meine seit langem, daß dieses militärische Unternehmen Deutschlands, bei weitem sein größter Auslandseinsatz (möglicherweise auch in größeren europäischen Interessen verankert), damit zu tun hat, daß Deutschland und andere europäische Staaten in dieser Region –  die sehr wahrscheinlich zu den künftigen Wetterecken der Weltpolitik gehört, wenn es nämlich wesentlich ungemütlicher wird in den internationalen Beziehungen als heute von den meisten für möglich gehalten –  versuchen eine eigene Präsenz aufzubauen und sich Optionen auf künftige Bündnisse zu sichern. Diese Bündnisse werden nicht unbedingt mit den USA konform gehen. Hinzu kommt eine historisch schon lang zurückgehende traditionelle Verbundenheit Deutschlands mit afghanischen Machtgruppen, die bekanntlich eine lange und erfolgreiche Tradition des Widerstands sowohl gegen Russland/Sowjetunion wie auch gegen westliche, vor allem „angelsächsische“ Mächte, früher gegen Großbritannien, mittlerweile auch in gewissem Sinne gegen die USA haben, während Deutschland in diesem Raum geschichtlich nie als Kolonialmacht und militärischer Abenteurer aufgetreten ist.

Auch diese Frage fällt bei Dagdelem unter den Tisch, wie überhaupt bei ihrer Richtung die Neigung besteht, die NATO als Monolith, Deutschland als den unentwegten Kettenhund der USA und alles von Ölinteressen gesteuert zu zeichnen. In Afghanistan geht es aber um weit größere und kompliziertere Fragen als Öl – wie auch anderswo.

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