Was ist der Kern der bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien? Woher die politischen Eiertänze europäischer Regierungen?

Nach der Meinung, die z.B. von der Bertelsmann-Stiftung unter dem Titel „Syrien – vom Aufstand zum Krieg“ vertreten wird:

http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-DFC6E7A8-7C044FBC/bst/xcms_bst_dms_37366_37367_2.pdf

und deren Tenor sich gleichfalls in zahllosen Medienprodukten und Politkerstatements findet, entstand in Syrien im März 2011 in der Landbevölkerung eine friedliche Protestbewegung, die von der Regierung Assad „sozioökonomische Reformen und eine politische Öffnung“ gefordert habe. Die Regierung Assad habe sofort mit militärischer Gewalt geantwortet und die Protestbewegung so erst zur eigenen Militarisierung gezwungen. Mangels ausreichender eigener Widerstandskräfte habe dann die Protestbewegung schließlich in islamistisch-fundamentalistischen Milizen, d.h. in Personal, Geld und Waffen aus Saudi-Arabien, Katar und Türkei den entscheidenden Bündnispartner gefunden, der ihr das militärische Druckpotential verschafft habe, das sie zum Überleben und zum Aufbau eines gewissen Drucks auf das Assad-Regime brauche.

„Wir“, d.h. die BRD und andere Staaten, sollten nun dieses nicht ganz unproblematische Bündnis (so die Bertelsmann-Stiftung selbst), für dessen Zustandekommen aber allein das Assad-Regime die Verantwortung trage, noch mehr militärisch und finanziell unterstützen, damit das Patt endlich überwunden werde. Dabei gelte es, durch kluge Steuerung der Mittel, die „radikalen“ Kräfte in der Bewegung gegen das Assad-Regime an den Rand zu drängen oder einzubinden, um so ein moderneres und demokratischeres Syrien zu ermöglichen.

 

Meine eigene Meinung geht in eine etwas andere Richtung, und ich möchte die der Bertelsmann-Stiftung schon einmal von vornherein als übelstes, den Interessen der Mehrheit in Deutschland und Europa widersprechendes Propaganda-Elaborat qualifizieren. Es läuft im übrigen auch den Interessen der Massen in den arabisch-islamisch geprägten Ländern wie Syrien zuwider. Wem es eigentlich nutzen soll, dazu später.

 

Das Modell Libyen, die massive westliche Intervention, und die sog. syrische Opposition

Die Darstellung von einer ursprünglich friedlich-demokratischen Protestbewegung des März 2011, die dann im Verlauf der kommenden Monate vom Regime in den militärischen Widerstand gezwungen worden sei, erweckt mir schon einmal von der Chronologie her erhebliche Zweifel. Zuvor nämlich, spätestens seit Februar 2011 wurde allgemein sichtbar, wie die USA, im altbekannten Bündnis mit fundamentalistischen reichen Golf-Ölstaaten sunnitischer bzw wahabitischer Prägung wie Saudi-Arabien  und Katar (wo nebenbei der Sitz von Al-Jazeera sich befindet), den gewaltsamen Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen betrieben. Es wurde deutlich, wie sie zu diesem Zweck keineswegs bloß demokratische oder demokratisch auftretende Proteste sponsorten, wenn überhaupt, sondern auch recht tatkräftig, zusammen mit solchen Bündnispartnern, bewaffnete Gruppen organisierten, zumeist oder vielleicht sogar ausschließlich islamistisch-fundamentalistischer Prägung, denen schließlich als sog. arabischer Frühling der Weg zur Macht freigebombt wurde, unter nicht unwesentlicher Beteiligung des Cameron-Regimes in Großbritannien und des Sarkozy-Regimes in Frankreich.

Bei dieser internationalen Militärintervention in Libyen, bei der Großbritannien und Frankreich „to the front“ durften, kann natürlich die im Hintergrund koordinierende und fordernde Rolle der USA nicht außeracht gelassen werden. Inwiefern mögliche eigene, aus alten Zeiten ererbte Kolonialvorstellungen in der französischen und britischen Bourgeoisie und deren heutige Wünsche, den Kuchen Nordafrika nicht allein den USA zu überlassen, dabei auch noch eine Rolle gespielt haben, kann ich nicht beurteilen, halte ich aber für eine Hypothese, der nachgegangen werden sollte.

 

Im Hintergrund sind ferner zu beachten das russische Interesse an der Behauptung gewisser Einflußkanäle und Positionen im nordafrikanisch-vorderorientalischen Raum sowie, noch mehr im Hintergrund, das bedeutende chinesische Vordringen in großen Teilen Afrikas, das einstweilen noch keine oder keine bislang erkennbare militärisch-machtpolitische Prägung trägt, aber perspektivisch diese Prägung durchaus bekommen könnte. Diese beiden Staaten haben den US-Vorstoß, oder auch den USA-GB-F-Vorstoß offiziell, so in den UN, nicht gebilligt. Was sie praktisch in diesem Zusammenhang getan haben und weiterhin tun, entzieht sich meiner Kenntnis, wird jedenfalls in den europäischen öffentlichen Medien nicht oder kaum behandelt. Das heißt aber nicht, daß nichts stattfindet.

 

Diese  massive Ermunterung staatszersplitternder und vorwiegend islamistischer Kräfte, dieses massive eigene militärische Vorgehen westlicher Mächte in Libyen zugunsten eines derartigen Regimewechsels kann den Kräften in Syrien nicht entgangen sein, die für solches die geeigneten Antennen hatten.  Vermutlich bekamen sie hierdurch den entscheidenden Anstoß, Entsprechendes auch im eigenen Land in Angriff zu nehmen. Parallele und möglicherweise schon langfristig wirkende geheimdienstliche Beeinflussungen und Lenkungen durch eine gewisse westliche Macht bzw. Mächte darf man getrost unterstellen.

 

Die Erzählung, wie sie die Bertelsmann-Stiftung und andere verbreiten, hat demgegenüber etwas Märchenhaftes. Der entscheidende Anstoß, gegen das Assad-Regime einen sog. Bürgerkrieg anzuzetteln, kann nicht aus der Frustration syrischer Landbewohner erwachsen sein, deren Demonstrationen vielleicht tatsächlich in der vorderorientalisch üblichen brutalen Manier unterdrückt wurden, sondern hat vor allem solche internationalen Machenschaften zum Grunde. Es handelt sich um das schon vorher existierende Vorhaben, mittels islamistischer Stoßtrupps, die vordergründig  im Solde der Saudis etc. stehen, d.h. aber letztlich unter der Kontrolle der USA, Syrien ins Chaos, ins Blutbad und in einen Kampf aller gegen alle zu stürzen.

 

Und was könnte nun das Interesse der treibenden Kräfte im Westen an der Herbeiführung eines solchen Zerstörungsprozesses, an einer solchen Brutalisierung und Verallgemeinerung der Schlächterei sein? Welche Antwort hat die Bertelsmann-Stiftung hierauf?

 

M.E. bestehen die Interessen derjenigen, die von außen mit propagandistischen, finanziellen, geheimdienstlichen und militärischen Mitteln den Konflikt in Syrien erst auf die Stufe einer massiven militärischen Konfrontation gehoben haben, in alles anderem als der Förderung der Kräfte des Demokratie und der Modernisierung, in Syrien oder anderen Staaten des Raumes.

M.E. betreiben v.a. die USA systematisch die „Irakisierung“ wichtiger dort noch bestehender Staaten, d.h. ihre Zersplitterung, die Vernichtung ihrer zivilisatorischen Infrastrukturen, und die Aufhetzung aller möglichen Bevölkerungsgruppen, ethnischer und religiöser Untergruppen der Länder unter- und gegeneinander. Der „arabische Frühling“ ist in der Konzeption der entsprechenden Kreise der USA und ihrer internationalen Parteigänger nur auf der Oberfläche ein Durchbruch der Stimmen der Massen; in der Essenz soll dieser „Frühling“ den USA und anderen vor allem die weitere Lenkbarkeit der Entwicklung in diesen Ländern garantieren, z.B. durch die Entfesselung der reaktionärsten Strömungen, durch die permanente Verwicklung aller Akteure dieser Länder mit Problemen des Terrorismus, des Separatismus, des religiösen Fanatismus usf. Diese Verwicklung würde ganz unmittelbar auch solche in diesem Raum stark interessierte internationale „Nachbarländer“ wie z.B. Frankreich oder Deutschland treffen.

 

Es kann selbstverständlich nicht bestritten werden, daß die politischen und sozialen Verhältnisse der Staaten, in denen dieser „Frühling“ lanciert wurde, seit langem unhaltbar sind, daß dort tiefgreifendste Umwälzungen des ganzen politischen Systems anstehen, daß die katastrophale wirtschaftliche Unterentwicklung immer schwerer durchschlägt und für den Kampf dagegen neue Kräfte, neue Methoden gebraucht werden, daß vielfältigste Auseinandersetzungen mit den rückständigen kulturellen Gegebenheiten anstehen, die jeder Art moderner Entwicklung querstehen.

 

Die Fälle Libyen und Syrien lehren jedoch, so weit das hier erkennbar ist, wie all das nicht laufen darf, wie vielmehr der Veränderungsdrang der Menschen gegen sie selbst instrumentalisiert wird, und dies im wesentlichen  vermittels reaktionärster Länder und Parteien wie bestimmter reicher Golfstaaten, die aber ihrerseits letztlich vor allem Instrumente der traditionellen US-Suprematie schon immer waren und weiterhin sind, die darüber hinaus allerdings auch in die Rolle nicht unbedeutender Zentren des internationalen Finanzkapitalismus hineingewachsen sind und auch mit anderen westlichen Ländern wie z.B. auch Deutschland auf dieser Ebene verknüpft sind. Hinzukommen ihre Verknüpfungen mit Israel, das ähnlich diesen Regimen ein grundsätzlicher Gegner arabischer Entwicklung ist, und seinerseits ein besonders enger Verbündeter der USA und auch Deutschlands, der in diesem Raum unmittelbar um die Behauptung seiner militärischen Suprematie und seiner Sperr-Rolle gegenüber dem arabischen Fortschritt kämpft.

 

Die “Irakisierung“ Libyens und nun vor allem Syriens (eines wesentlich bedeutenderen Landes als Libyen) durch die USA mittels islamistischer Verbündeter wie Saudi-Arabien und islamistischer Popanze und Provokationspartner wie die sog. Al-Kaida-Szene, sowie mittels bestimmter mit Blindheit geschlagener oder auch käuflicher innerer syrischer Kräfte, hat aber vor allem eine internationale Essenz, die sich gegen Europa richtet.

 

M.E. liegt hierin sogar der zentrale Schlüssel für die Analyse der aktuellen Entwicklung in diesem Raum.

 

Die „Irakisierung“ Syriens und die Bedrohung Europas

 

Die Schwierigkeiten, in die europäische Regierungen sich durch die syrische Entwicklung gestürzt sehen, sind nicht gerade unbedeutend, und das Hin und Her der europäischen Reaktionen, wie gerade jetzt in diesen Tagen wieder die Eiertänze über die Frage: sollen und dürfen Mitgliedstaaten der EU wie Frankreich, aber auch, von anderer Warte aus, Großbritannien, Waffen an die sog. Opposition in Syrien liefern, deutet die schwierigen Entscheidungsfindungs-Prozesse an, die im Hintergrund ablaufen.

Man darf davon ausgehen, daß die kontinental-europäischen Regierungen  nicht völlig blind gegenüber der Gefahr sind, daß an ihrer Südostflanke, auch in der nord- und westafrikanischen Nachbarregion mit Staaten wie Algerien und Mali, derartige politische und zivilisatorische Rückschritte durchgesetzt werden wie im Irak, daß der islamistische, letztlich von den USA manipulierte Sumpf direkt gegen europäische Interessen, ja in der Konsequenz gegen die Fähigkeit der europäischen Staaten benutzt werden wird, überhaupt noch Herr im eigenen Haus zu bleiben (diese Fähigkeit ist allerdings in einem Gebilde wie der BRD eh strukturell unterentwickelt).

Diese Staaten befinden sich in sehr unangenehmen Abwägungsprozessen, denn die traditionelle Liaison mit den USA, gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit, sich mit Russland ein – wenn auch unzuverlässiges – mögliches Gegengewicht zu erhalten, sind gefährdet und widersprechen bis zu einem gewissen Grad einander. Außerdem sind europäische Regierungen selbst mitverantwortlich für die Unterentwicklung des nordafrikanisch-vorderorientalischen Raumes und seine fehlende politische Emanzipation. Sie nutzen selbst das islamische rückständige Element, das sie in ihren eigenen Bevölkerungsstrukturen mittlerweile verwurzelt haben, innenpolitisch gegen die Demokratieforderungen aus den eigenen Bevölkerungen (die nicht endenden Beleidigungen der europäischen Kultur durch das Multi-Kulti-Treiben der regierenden Bürokratien sind nur eine besonders hervorstechende Erscheinungsform dieser Politik der herrschenden Kreise). Nun hat die Entwicklung, und zwar hauptsächlich durch die vorantreibende Rolle der USA, einen Punkt erreicht, an dem sich in der europäischen Öffentlichkeit die Befürchtungen wegen solcher irakisierten Verhältnisse vor der Haustür und ihrer Bedrohungen für die eigene Handlungsfähigkeit schon relativ deutlich artikulieren. In Leserzuschriften bspw. in der „FAZ“ kann man die unverblümte Meinung lesen, daß die Frage der Waffenlieferungen gezielt hochgespielt wird, um die EU zu spalten.

Das Rezeptchen, das eine solche Agentur des schnödesten volksfeindlichsten Finanzkapitalismus wie die Bertelsmann-Stiftung für das deutsche und europäische Verhalten zu Syrien bereithält, lautet kurzgefaßt folgendermaßen: nehmt stärker teil an der Aufrüstung und Aufwertung der sog. syrischen Opposition, nur so habt ihr eine Chance, den ihr inkorporierten islamistischen „Radikalismus“ einzudämmen und unter Kontrolle zu bekommen. Wie aber Deutschland und andere europäische Staaten genügend Einfluß auf die syrischen Verhältnisse bekommen können, um in diesem Sinne Erfolg zu haben und die Pläne der USA sowie ihrer islamistischen Verbündeten durchkreuzen und die Gefahr vor ihrer Haustür sogar in ihren eigenen Vorteil verwandeln zu können, das bleibt das Geheimnis der Bertelsmann-Stiftung und ihrer Nachbeter in Medien und Politik. Daher muß man die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung als einen Ratschlag werten, wie man beflissen daran mitwirkt, sich den Strick um den eigenen Hals legen zu lassen.

 

Führende Politiker der BRD scheinen bislang an eine solche Taktik geglaubt zu haben. Jedenfalls hat man Derartiges zu hören bekommen, und es gab bereits, öffentlich wahrzunehmen, das Unterfangen der mehr oder weniger staatlichen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin, sich vermeintliche Kader einer zukünftigen syrischen Regierung heranzuziehen, sowie die merkwürdige Aktion der Raketen-Stationierung in der Türkei (handelt es sich um eine Aufwertung dieses bekanntlich besonders demokratischen, bescheidenen und unmilitaristischen Staates als Förderer der sog. syrischen Opposition? oder um eine Kandare gegen dessen mögliches Ausscheren?)

Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, klarer Stellung zu beziehen, und zwar gegen die Bewaffnung irgendwelcher Terrorbanden im Solde solcher außenpolitischer „Verbündeter“ Europas wie die USA, und für die Förderung solcher Kräfte in den betroffenen Ländern, die zumindest zivilisierter und weniger käuflich sind und nicht derartige Allianzen eingegangen sind. Die immerhin jetzt deutlicher geäußerten Sorge, man könne ja nicht wissen, in wessen Hände die möglicherweise gelieferten Waffen gelangten, ist – für deutsche Politiker – eine relativ deutliche Bekundung des Bewußtseins, in einer sehr unangenehmen Stellung zwischen allen möglichen Stühlen gelandet zu sein.

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