Europa, die Probleme mit Griechenland und mit dem gesamten derzeitigen System

 

Elemente einer Zwischen-Analyse, 12.7.15 nachmittags

Wegen der sog. Reformversprechen Griechenlands, für die im Gegenzug eine weitere Finanzspritze in Höhe von vielleicht rd. 100 Mrd. gegeben werden soll, können sich die Finanzminister der Eurozone nicht einigen, es sollen nun die Regierungschefs eine Einigung finden.

Auch wenn sie das so oder so wiederum noch irgendwie schaffen sollten, bleiben die Probleme ungelöst. Sie können längst schon nicht mehr durch weitere Zusagen an Geld vertagt werden (das ja seinerseits bei den Euro-Zentralinstanzen auch längst nicht mehr gedeckt ist).

Schäuble und andere sehen letzteren Punkt immerhin jetzt gekommen. Er soll zwei Konzepte formuliert haben, a) die Verpfändung von griechischen öffentlichem Vermögen in Höhe von 50 Mrd. zur Absicherung aktueller Forderungen von Gläubigern, b) ein 5-jähriges Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, bis die Ökonomie des Landes sich soweit erholt habe, dass Mitgliedschaft wieder angebracht. Wahrscheinlich wird beides nur erst einmal noch größeres soziales Elend in Griechenland bringen mit unabsehbaren politischen Konsequenzen. Wie steht Herr Schäuble denn nun zu diesen??

Über die Griechenland-Frage in diesem Stadium soll auch ein Bruch zwischen Deutschland und Frankreich drohen, d.h. der Zusammenhalt Europas wäre an zentraler Stelle gefährdet.

Es könnte auch zum Bruch des Merkel-Systems, oder aber auch zum Bruch der Hollande-Regierung kommen, wenn nicht sogar zu neuen politischen Koalitionen und Charakteren auf beiden Seiten.

Vielleicht kann die politische – bisher nur relativ erreichte – Einheit Europas schon jetzt überhaupt nur noch durch kräftige Rucks erhalten und verbessert werden … die allerdings auch in andere Richtungen gehen können….

 

Grundsätzlich handelt es sich um die Frage, was die EU und der Euro überhaupt sind und sein sollen.

 

Der Euro ist ein Konstrukt des Finanzkapitalismus bzw. des europäischen Kapitalismus überhaupt. Der heutige Kapitalismus wird generell in der ganzen sog. westlichen Welt vom Finanzwesen und seiner Verfilzung mit den staatlichen bürokratischen Strukturen dominiert. Der Euro ist gleichzeitig die Hauptklammer der bisher erreichten europäischen Integration, und eine finanzkapitalistisch-bürokratische Klammer ist ein sehr ungenügender Faktor von Zusammengehen und Zusammenwachsen, das erforderlich und auch von den meisten Bürgern Europas gewünscht wird.

Wenn man allerdings solche Fragen, konkret die Frage, welches Wirtschafts-und Regierungssystem hier eigentlich heute gegeben ist, außen vor lässt und die politischen Probleme wie EU, Griechenland, Südeuropa usf. glaubt analysieren zu können, ohne auf die Widersprüche eingehen zu wollen, die speziell aus diesem System hervorgehen und allen seinen politischen und kulturellen Fragen einen (milde ausgedrückt) sehr eigenen und eigenartigen Grundton verleihen, kann man nicht kreativ weiterkommen. So aber wird es in den offiziellen Medien und Parteien gehandhabt, einschließlich übrigens solcher sog. populistischer Parteien wie der AfD oder dem Front National.

Der Euro intensiviert seinerseits weiter die Diktatur des finanzkapitalistisch-bürokratischen Systems, das ihn geschaffen hat.

Charakteristisch für die Ideologie des Finanzkapitalismus ist das weitgehende Absehen von wesentlichen Teilen der sozialen und kulturellen Realität, die Absage an wichtige geschichtliche und nationale Gegebenheiten, und die Überschätzung der eigenen Möglichkeiten, die Gesellschaft durch Geld regulieren und am Laufen halten zu können – durch Geld, dessen Verfügbarkeit und Entwicklungsregeln man seinerseits auch noch meint bestimmen zu können. Griechenland, um ein einfaches und aktuelles Beispiel zu nennen, kann aber durch Kredite, Rentenkürzungen, Privatisierungen und wer weiß noch was sonst aus dem finanzkapitalistisch-bürokratischen Werkzeugkasten in seinen Grundlagen nicht positiv verändert werden. Um die griechische Gesellschaft von osmanischen Traditionen der Staatsverneinung, der Korruption und des Klientelismus zu emanzipieren, sind andere Entwicklungen vonnöten, die auch nicht ohne aktive Teilnahme wesentlicher Teile der griechischen Bevölkerung in Gang kommen können.

 

Die finanzkapitalistisch-staatsbürokratische Ideologie kann vielleicht zeitweise die Entwicklung von Gesellschaften tatsächlich bestimmen, aber nur unter Voraussetzungen, die in dieser Ideologie selbst wohl nicht oder nur ungenügend reflektiert werden. Die Dominanz des Finanzkapitalismus funktioniert eben nur unter bestimmten, zeitlich vergänglichen Voraussetzungen. Solche Voraussetzungen könnte man z.B. darin sehen,

  • dass die öffentliche Verschuldung durch ökonomische Potenzen der gesamten Gesellschaft noch einigermaßen gedeckt wird oder gedeckt erscheint;

 

  • dass in der Produktion (dieser Begriff hier sehr weit gefasst, im Sinne etwa von sog. „Realwirtschaft“) genügend Profit erwirtschaftet wird, um dem Staat Steuern zu garantieren, mit denen er weiterhin finanzkapitalistisch kreditwürdig erscheint- anders ausgedrückt: mit denen er dem internationalen Finanzkapital ausreichend weitere Ausbeutungsquellen zu garantieren scheint;

 

  • auch dass in der Gesellschaft genügend verwertbarer, evtl. konfiszierbarer [d.h. ganz wörtlich ‚in Fiskus umsetzbarer‘] Reichtum vorhanden ist, der für das Finanzkapital als Deckung seiner Schulden in Frage kommt. Dieser Zugriff setzt politische Bedingungen voraus; wenn bspw. das Volk rebelliert, geht er verloren…

 

Im Falle von Griechenland liegt m.E. auf der Hand, dass die griechische hoch- und finanzkapitalistische Oberschicht und ihre entsprechenden gesellschaftlichen Klientelanhänge und politischen Parteien zwar am europäischen und globalen finanzkapitalistischen System teilnehmen, aber diese Teilnahme ist nicht gedeckt durch die Produktivität der von ihnen kontrollierten griechischen Ökonomie. Das bedeutet, es gibt bei weitem nicht genügend ökonomische Grundlagen auch für eine eventuell reformierte Besteuerung.

 

Bekanntlich ist das altertümliche Klientelsystem Griechenlands – Ähnliches existiert wohl auch in anderen balkanischen und südeuropäischen Ländern – hauptsächlich durch die „Parteien“ vermittelt, die insofern auch deutlich andere Grundeigenschaften und Funktionsweisen haben als bspw. die traditionellen Parteien etwa Deutschlands . Zwar gibt es in allen kapitalistischen parlamentarischen Demokratien Klientelismus in unterschiedlichem Maße und unterschiedlichen Erscheinungsformen, man denke einmal an die Züchtung von ganzen gesellschaftlichen Schichten, die an der staatlich verordneten sog. Energiewende mitprofitieren. Allerdings dürfte der Klientelismus in Ländern wie Griechenland weitaus grundsätzlichere Bedeutung haben und von vornherein den Parteien und somit dem dortigen „Parlamentarismus“ ziemlich andersartige Funktionsweisen aufgeprägt haben als wir sie z.B. in unserem Land beobachten.

 

Die Teilnahme der griechischen Oligarchien und des griechischen Klientelsystems am Euro ist von vornherein garantiert gewesen durch die Finanzquellen, die das im Euro verkörperte finanzkapitalistisch-bürokratische System anderweitig hat bzw. meint vorweisen zu können, bspw. durch industrielle Produktivität andernorts, Besteuerungsfähigkeit anderer Bevölkerungskreise in der Eurozone.

In der heutigen Situation aber werden diese Quellen knapper, was nicht zuletzt im Euro-Rahmen auf den eigenen (finanzkapitalistischen) Ökologismus, auf allgemeine Dekadenz, auf das eigene selbstverschuldete Zurückfallen der Produktivkräfte, auf das Aufkommen potenter internationaler Konkurrenten zurückgeht. Wenn man jetzt die europäische Einheit riskiert, weil sie mit den bisherigen finanzkapitalistisch-bürokratischen Methoden nicht mehr garantiert werden kann; wenn die Bereitschaft schwindet, die Schuldenlast des gesamten Systems noch weiter zu vergrößern, indem man dem griechischen Subsystem und seinen Profiteuren noch weiteres Geld hinterher würfe, Geld, das dann den produktiveren Teilen der EU-Gesellschaft umso fühlbarer fehlen wird – dann müssen endlich Überlegungen über die längerfristige Überlebensfähigkeit der europäischen Gesellschaft überhaupt angestellt werden.

(Nachbemerkt zu diesem Absatz muss werden, dass zu den bisherigen Profiteuren des Systems ‚Griechenland im Euro‘ nicht nur die griechischen Oberschichten und die daranhängenden Klientelen, sondern auch die bisherigen Profiteure sowohl des Warenexports und des Geldtransfers nach Griechenland wie deutsche Konzerne und internationale Banken gehören.)

Von Gesellschaften wie der griechischen, deren allgemeine Rückständigkeit nicht noch weiter durch Finanzmanipulationen des europäischen finanzkapitalistisch-bürokratischen Systems überdeckt, gedeckt und verlängert werden kann, verlangt man nun auszuscheiden, was mit großen Risiken für die internationale Stellung Europas verbunden ist, oder sich schlagartig anzupassen. Dabei ist die Forderung der Anpassung an die existierenden europäischen finanzkapitalistischen Strukturen ihrerseits eine Zumutung und eine Vergewaltigung, die man nicht seriös vertreten kann. Die europäischen Strukturen selbst müssen sich ändern, denn sie selbst sind in den gegenwärtigen, auch von Schäuble et al. vertretenen Eigenheiten nicht zukunftsfähig. Sie leben selbst längst von der Substanz auch der entwickelten Gesellschaften, sie betreiben Raubbau an der Gesellschaft und sind nur unter bestimmten, vielleicht derzeit noch vorhandenen internationalen Verhältnissen noch eine Weile haltbar, aber nicht unter den anderen, neuen internationalen Verhältnissen, die sich abzeichnen.

Der Illusionismus bezüglich internationaler derzeitiger vermeintlich stabiler Strukturen, das verfehlte Vertrauen auf geostrategische Stabilität, auf die Hilfe der USA bei eigener militärischer Impotenz Europas werden bald sehr unangenehm fühlbar werden. Anders als die griechischen Strukturen, die eine Zeitlang durch die Eurozone eine Zeitlang sozusagen mit- durchgefüttert werden konnten und sogar vielleicht noch eine Zeitlang so erhalten werden könnten ( wenn man Frankreichs „Sozialisten“ folgt), wird Europa von den globalen finanzkapitalistisch-hegemonistischen Strukturen mit ihrer wilden Konkurrenz keinesfalls durchgefüttert, sondern gefressen werden.

 

Die Bereitschaft der Hollande-Regierung, Griechenland in der bisherigen Manier durch weitere Zusagen von Finanztransfers in seiner Rückständigkeit zu belassen, d. h. aber auch die Arroganz des finanzkapitalistisch-bürokratischen europäischen Systems zu belassen und seinen gesellschaftlichen Raubbau noch zu intensivieren (die „griechischen“ Milliarden bzw. bald Billionen müssen von zukünftigen europäischen Generationen abgezahlt werden, die nicht einmal ihre „eigenen“ Billionen werden abzahlen können), kann nicht toleriert werden. Die französischen Oberschichten tendieren selbst extrem zu Parasitismus und Blindheit, was wohl auch mit der kolonialen Vergangenheit und teilweise auch noch Gegenwart, der verknöcherten Art der Rekrutierung der politischen Führungsschichten und dem katastrophalen ideologischen Verfall der intellektuellen Meinungsführer (man denke nur an eine Figur wie Bernard-Henri Levy) in Frankreich zusammenhängt. Daher sollte Hollande jetzt wohl am besten mit Ablehnung der Mehrheit der Euroländer konfrontiert werden und innenpolitisch crashen. Aber das allein löst natürlich weder die aktuellen Probleme(wie der europäische Laden erst einmal überhaupt zusammenbleibt) noch erst recht die Fragen der mittelfristigen – relativen –ökonomischen und politischen Konsolidierung dieses Ladens.

Deutschland muss runter sowohl von seiner Arroganz (die sich beispielhaft u.a. in Zehntausenden von Leserzuschriften der Medien zu Griechenland widerspiegelt…) als auch von der Politik der herrschenden Kreise , die die Grundlagen ökonomischer Kraft und gesellschaftlichen Zusammenhalts ruiniert. Es muss weg auch von deren Irrglauben, das Aufgehen der Nation in eurokratischen Strukturen (und die erhoffte Dominanz der deutschen Bürokratie in denselben) könne den berechtigten Widerspruch in der deutschen Gesellschaft ersticken.

Gefragt sind in ganz Europa, bzw.jedenfalls aktuell in der ganzen sog. Eurozone, nicht bloß in Griechenland oder Frankreich, starke Änderungen. Auf welcher ökonomischen Grundlage, auf welcher demokratischen Partizipation der Bevölkerungsmassen, auf welchen gesellschaftlichen Strukturen kann eine relative Konsolidierung angestrebt werden, oder umgekehrt ausgedrückt: kann die Selbstherrlichkeit des finanzkapitalistisch-bürokratischen Überbaus reduziert, können die ruinösen Entwicklungen, z.B. die demografische Entwicklung in Deutschland, gestoppt und umgekehrt werden, können die ökonomischen Leitlinien geändert werden, die die Produktivkräfte, anders ausgedrückt: die produktive Kreativität breiter Bevölkerungsschichten ersticken.

Derartige Fragen müssten zunächst einmal genauer definiert und in die öffentliche Erörterung eingebracht werden, ohne die bisherigen „politisch korrekten“ (d.h. finanzkapitalistisch-bürokratischen genehmigten!) Restriktionen.

 

Es ist eigentlich ein richtiger Aspekt der Äußerungen von Varoufakis gewesen, wenn er die Ideen, in die griechische Pleite noch weitere Milliarden hineinzugießen und auch noch deren Rückzahlung von künftigen griechischen Generationen zu erwarten, als utopisch abgelehnt hat. Von Vorstellungen auf seiten von Varoufakis, wie Griechenland sich herausarbeiten könnte, ist allerdings nichts bekannt geworden. Schuldenschnitt ist jedenfalls genau so wenig ein Beitrag dazu wie weitere Schulden. Und Griechenland ist kein von der bisherigen Politik der wesentlichen europäischen Staaten unabhängig entstandenes Problem, es ist ein Symptom europäischer Probleme, d.h. vor allem der finanzkapitalistisch-bürokratischen Herrschaft. Dass diese auf absehbare Zeit durch ein anderes politisch-ökonomisches System ersetzt werden könnte, wie auch immer man das konzipieren mag, ist höchst unwahrscheinlich, aber sie kann möglicherweise deutlich modifiziert werden. Die Verlautbarungen bestimmter in den Medien normalerweise als populistisch etikettierter Parteien geben in dieser Hinsicht allerdings auch wenig her, außer dem einen oder anderen kritischen Einzelaspekt bspw. in den Bevölkerungsfragen. Es müssen also die kapitalistischen, die finanzkapitalistisch-bürokratischen Grundstrukturen problematisiert werden und Konzepte erörtert werden, die von solchen tiefergehenden kritischen Ansätzen her hoffentlich ausgehen.

 

 

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