Der Brexit hat eine geopolitische Dimension, die von den Politikern und Medien dies- und jenseits des Kanals anscheinend ungern behandelt wird. Stattdessen schiebt man alle möglichen anderen Widersprüche hin und her, ob es der undemokratisch-bürokratische Charakter des EU-Regimes oder die Arroganz der Briten, die Erschütterungen der Finanzmärkte oder das Aufkommen von Populisten oder was auch immer ist.
Geopolitisch bedeutet der Brexit, dass die bisherige politische und militärische Verklammerung Europas mit den USA sich mit großen Schritten der Auflösung nähert. Großbritannien als Mitglied der EU war über Jahrzehnte ein wesentliches Element dieser Verklammerung. Die britischen Regierungen hatten in den Augen der USA vor allem die Aufgabe, die Entwicklung der EU im Sinne der USA zu beeinflussen, und sie haben viel auf diesem Gebiet geleistet. Für die kontinentaleuropäischen Staaten bedeutete das Bündnis mit den USA aber auch das Bündnis mit einer militärischen Potenz, die man aus eigenem nicht annähernd zu erbringen in der Lage war, oder wollte. Man nahm die politische Unterordnung unter die USA und den Dauerärger mit den Briten in Kauf, solange man via NATO im Bunde mit der stärksten Militärmacht der Welt sich wähnen konnte.
Wenn jetzt im ziemlich brüsker Weise erklärt wird: Schluss mit der britischen Klammerfunktion, dann bedeutet das auch, dass nicht nur wesentliche Teile des britischen Establishments, sondern wesentliche US-Strömungen volle Pulle dabei sind, sich aus dem Bündnis mit Europa zu verabschieden. Ohne das backing aus den USA wären diejenigen Teile des britischen Establishments, die jetzt den Brexit zuwege gebracht haben, ziemlich matte Figuren.
Wenn die politisch-militärische Verklammerung der USA mit Europa, mit Großbritannien als einem wichtigen Bindeglied, jetzt zur Disposition gestellt wird, kann man vermuten, dass die verantwortlichen Kreise dabei sind, sich auf neue globale Konstellationen einzustellen, in denen Bündnisverpflichtungen ggü. Kontinentaleuropa ihnen im Wege sind. Wenn man aber die kontinentale EU als ein Gebilde sieht, für das es sich nicht lohnt Bündnisgarantien abzugeben und ggf. zu kämpfen, ist auch der nächste Schritt nicht mehr weit, sie unter die potentiellen Gegner einzureihen.
Der Brexit ist als Vorandeutung einer möglichen, wenn auch nicht zwangsläufigen Kriegserklärung der USA an Kontinentaleuropa zu verstehen.
Dieser Aspekt ist hundertmal wichtiger als alle ökonomischen Kümmernisse.
Zweifellos hat Großbritannien nie wirklich zu Europa gehört. Historisch hat sich das Vereinigte Königreich über Jahrhunderte hinweg damit beschäftigt, auf dem Kontinent Spaltungen, Konflikte und Kriege zu fördern, die ihm die Möglichkeiten geben sollten, die europäischen Staaten gegeneinander sich schwächen zu lassen, um dann als der Schiedsrichter und letztliche Entscheider wirken zu können. Während das Vereinigte Königreich sich das größte Kolonialreich der Geschichte schuf und daraus überlegene Reichtümer zog, war seine Haltung gegenüber dem Kontinent vorwiegend destruktiv. Eines der späten Details dieser traditionellen Politik war die massive Unterstützung, die das Hitlerregime durch das britische Establishment erfahren durfte, mit dem bekannten, aber keineswegs exzentrischen Höhepunkt der sog. Appeasement-Politik der dreißiger Jahre.
In Anbetracht solcher langjähriger für Kontinentaleuropa vorwiegend unerfreulicher britischer Traditionen könnte man durchaus zur Stimmung neigen: gut, dass die endlich draußen sind, noch besser, dass sie es aus eigener Überheblichkeit geschafft haben. Aber das wäre nur eine Seite der neuen Situation. Diese Stimmung darf nicht davon ablenken, dass mit dem Brexit existentielle Herausforderungen für die EU deutlich und bedrohlich werden. Wie hält man es mit dem Aufbau eigener militärischer Stärke, mit einer eventuellen Verteidigung auch in Richtung Westen, mit künftigen internationalen Bündnissen; wie wird man damit umgehen, wenn in den USA Strömungen an die Regierung kommen, die erklärtermaßen von der NATO nichts halten, für die Europa nur ein dekadenter Haufen von Stänkerern ist, die einer neuen Größe der USA und ihrer ganz großen historischen Auseinandersetzung mit China ständig im Wege stehen? Diese Widersprüche schälen sich schon seit längerem heraus, der Brexit allerdings beschleunigt ihre Entwicklung. Davon sind nicht wenige Politiker überfordert. Er zwingt, die Fragen anzugehen, um die man in der bisherigen Situation immer weiter meinte sich herumdrücken zu können.
Ich spreche keineswegs einer künftigen Orientierung der EU auf ein Bündnis mit Russland bzw. mit China plus Russland das Wort. Man wird versuchen müssen, aufgrund eigener militärischer und politischer Stärken (die dringend zu erarbeiten sind) zu neuen, gleichberechtigteren Beziehungen zu den USA zu kommen, schon einmal um einer Vereinnahmung durch China etwas entgegensetzen zu können. Es bleibt den europäischen Staaten, die in der EU zusammengeschlossen sind, nichts anderes übrig als eine solidere und stärkere Einheit zu schaffen, denn als einzelnen droht ihnen in der heutigen Welt seitens solcher Supermächte wie den USA und China die Vernutzung, der Ruin und das Ausscheiden aus der Weltentwicklung.
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