[10.07.17: Ein Absatz wurde etwas umgearbeitet.]
Das Chaos, das – punktuell, vorhersehbar und beherrschbar – in Hamburg angerichtet wurde, kann man als theatralische Veranschaulichung solcher Verhältnisse werten, wie sie vom Kapitalismus, insbesondere seinen führenden Mächten wie den USA, in vielen Regionen der Welt zu verantworten waren und weiterhin sind.
Diese Verhältnisse, gekennzeichnet durch Massenarmut, diktatorische Regime und harte Zusammenstöße, werden sich nicht grundsätzlich zum Besseren wandeln, wenn andere, auf ihre eigene Art gleichfalls kapitalistische Mächte, China und kleinere andere wie Russland nun stärker in internationale Konkurrenz zu den USA einsteigen. Diese seit einigen Jahren massiv wachsende internationale Rivalität führt u.a. zu noch stärkerer Militarisierung der Ökonomie, stärkerer Knebelung von Oppositionen, noch größeren sozialen Spannungen, und zu tatsächlichen Gefahren weiterer, auch großer Kriege. An der Verwüstung und Zerspaltung von Regionen wie dem Vorderen Orient, Irak, Syrien, Libyen, dem Jemen etc. kann man sich vergegenwärtigen, wie geopolitische Rivalitäten heute ausgetragen werden.
Gemeinsam ist den großen kapitalistischen Mächten allen, auch im Grundsatz der EU, dass sie ihre inneren Verhältnisse durch alle möglichen Formen externer, internationaler Ausbeutung von Mensch und Natur zu erhalten streben. Mittels der Kanalisierung von Teilen der immensen Profite in die finanzielle Stabilisierung ihrer eigenen Staaten werden die Verhältnisse für ausreichend große Anteile der eigenen Bevölkerungen halbwegs komfortabel gestaltet.
Man kann es nicht grundsätzlich für verkehrt halten, wenn im Innern des Komforts punktuell Verwüstung und gewaltsame Konfrontation mit der Staatsgewalt inszeniert werden, um auf die wirklichen Verhältnisse in großen Teilen der Welt aufmerksam zu machen. Diese Verhältnisse werden in der Tat von solchen Treffen wie den G20 symbolisiert und tatsächlich ja auch garantiert.
Was die eigenen politischen Ansichten und Ziele der unterschiedlichen protestierenden Akteure betrifft, mit denen Alternativen zum globalen kapitalistischen Regime gesetzt werden sollen, sind allerdings viele Schwächen zu konstatieren.
Die wenigsten Akteure sind bloße Randalierer. Es gibt allerdings seit langem eine bestimmte Szene, in Deutschland wie in vielen anderen Ländern, die medienwirksam rituelle Konfrontationen mit der gleichfalls sehr medienwirksamen Polizei zu inszenieren versteht, ohne dass damit irgendetwas Progressives in der Gesellschaft verbunden wäre. So wird das Bild der revolutionären Gewalt verunstaltet, die doch an so manchen Orten und zu manchen Zeiten unvermeidbar und progressiv gewesen ist und weiterhin bleibt; gleichzeitig wird dem Staat Gelegenheit gegeben, seine Übermacht zu demonstrieren und in der Praxis Aufstandsbekämpfung zu üben. Dies alles ist mehr oder weniger Routine und kann hier Fußnote bleiben, auch wenn die Theatralik jetzt in Hamburg eine gewisse Funktion hat.
Die Masse der Protestierenden führt gegen den globalen Kapitalismus schwerwiegende Kritikpunkte ins Feld.
Allerdings sind die eigenen dagegengesetzten sozialen und ökonomischen Vorstellungen ihrerseits nicht sonderlich stark. In einem Medienartikel wurde ein junger Mann zitiert, der auf der Reise nach Hamburg gesagt haben soll, eigentlich sei er für den Anarchismus, aber da dieser wohl nicht funktionieren würde, müsse einstweilen ein Sozialismus herhalten.
Es ist die grundsätzliche Schwäche aller derjenigen, die sich auf Sozialismus berufen, dass sie noch nicht die historische weltweite Niederlage verschiedener Sozialismen, vor allem wegen ihrer dem Kapitalismus unterlegenen gesellschaftlichen Produktivität, in neue Konzepte haben umsetzen können.
Wahrscheinlich muss die globale Gesellschaft sich erst noch weiterentwickeln, bis solche Konzepte neu entstehen können. An dem Ziel, die Klassenspaltungen weiter zu bekämpfen und dereinst aufheben zu können, ist festzuhalten, gerade angesichts der gesellschaftlichen Barbarei des modernen Kapitalismus.
Die konzeptionelle und politische Schwäche der Protestrichtungen ist derzeit fast grotesk. Sie sind so schwach, dass sie in verschiedenen wichtigen gesellschaftlichen Umgestaltungsprozessen, die wir derzeit erleben, sich kaum von den Forderungen des noch dominierenden, des internationalen westlichen Finanzkapitalismus unterscheiden.
Die sog. Klimapolitik ist ein Kernanliegen desselben. Er betreibt sie als wichtiges Instrument, um den grundsätzlichen Verwertungsschwierigkeiten zu Leibe zu rücken, denen jeder entwickelte Kapitalismus unterliegt. Die aus der internationalen Ausbeutung überschäumenden Kapitalmassen können zu erheblichen Teilen nicht mehr produktiv investiert werden. Ihre Umleitung in die Finanzspekulation ist kein ausreichender Weg. Immer wichtiger wird auch die Methode, mit staatlicher Gesetzgebung und bürokratischer Gewalt existierende Produktionszweige abzureißen und sie zwangsweise durch neue, nicht immer und sogar selten bessere zu ersetzen. Beispiele sind Denuklearisierung und Dekarbonisierung, wozu auch die forcierte Umgestaltung der Autowelt gehört. Das Ausmaß der hier einzusetzenden Kapitalmassen sprengt jede historische Vorstellung. Jeder ans Finanzkapital gebundene Manager und Politiker bekommt hier nach und nach leuchtende Augen.
Natürlich wird vom erzkapitalistischen Antrieb hinter diesen Konzepten nicht gesprochen, sondern eine enorme Propaganda wie vom sog. Kampf gegen Klimawandel aufgezogen, ein Riesenquatsch, an den gleichwohl Scharen von Gutmenschen in Deutschland und international zu glauben jahrzehntelang erzogen worden sind. Auch die Vergenderung der elementaren sozialen Beziehungen ist eine elementare Forderung des Kapitalismus vor allem in seinen Formen des bürokratisch degenerierten und denaturierten Finanz- und IT-Kapitalismus, der auf umfassende mentale Kontrolle des Menschen aus ist.
Die Schafsnasigkeit, mit der – nach meinem, zugegeben, sicher lückenhaften und punktuellen Eindruck – die große Mehrzahl derjenigen in unserem Land und Europa, die für antikapitalistische Veränderungen eintreten, sich für solche erzkapitalistischen Konzeptionen einspannen lässt (nach dem Motto: ja, aber wir wollen, dass sie rascher und radikaler verwirklicht werden), ist kabarettreif.
Allen Akteuren in Hamburg , die sich – mehr oder weniger konfrontativ – in diesem großen Protestschauspiel eingesetzt haben und noch einsetzen, gebührt gleichwohl Anerkennung. So oder so tragen sie dazu bei, dass aus der politischen Widersinnigkeit des Ganzen früher oder später ernsthafte Schlussfolgerungen gezogen werden. Das ist zwar nicht sicher, aber wahrscheinlich.
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