Es geht hier um ein neues Buch (2019) eines US-Militärs über – angeblich – neue Regeln des Krieges, die den USA zum Sieg in einer Welt der durable disorder verhelfen sollen, einer Welt „nachhaltiger Unordnung“.
(Sean McFate , The New Rules of War. Victory in the Age of Durable Disorder. William Morrow, NY, 2019)
Der Autor hat lt. Klappentext als Fallschirmsoldat in der US-Army und später als privater Söldner Erfahrungen gesammelt und ist nun Professor für Strategie an der National Defense University und der School of Foreign Service der Georgetown University.
Seine militärischen Ratschläge erwachsen aus höchst zweifelhaften, brutalen und ausbeuterischen Grundansichten über die Weltgesellschaft.
Seine durable disorder hat in etwa folgende Grundstruktur: einige starke Staaten, v.a. die USA und andere des Westens (deren Namen werden nicht genannt), sind in dem weitaus größeren übrigen Teil der Welt mit ihren schwachen oder überhaupt nicht existierenden Staaten, vor allem in Afrika, aber keineswegs nur dort, auf permanentem Beutezug und im Konflikt mit „revisionistischen“ (die Oberhoheit der USA herausfordernden) Mächten wie China.
Der Autor unternimmt keinerlei Versuch, den Kampf der USA um Beute und weltweite Vorherrschaft in irgendeiner Weise mit höheren Prinzipien zu rechtfertigen. Für ihn ist Krieg natürliche überhistorische Grundeigenschaft des Menschen („War is one of humanity’s constants.“, S. 6) und in dem Kampf aller gegen alle geht es nur darum, für sich selbst die maximale Bereicherung und die Vorherrschaft zu erkämpfen.
Er wendet sich ausdrücklich gegen Auffassungen wie die, die USA seien demokratisch – in Wirklichkeit würden sie von einem deep state gelenkt, einer Allianz zwischen Plutokraten und verdeckten Akteuren des politischen und militärischen Apparats. „But the double helix of corporations and politicos forms the DNA of America’s power structure.“ (168)
Damit entfällt selbstredend – ohne dass der Autor darauf eigens einginge – jegliche der üblichen moralisch oder zivilisatorisch getönten Selbstrechtfertigungen des US-Imperialismus, bspw. die des Demokratiebringers, oder auch nur die des technologischen Beglückers. Die USA kämpfen eben gegen andere deep states, gegen sich neu entwickelnde „regionale Supermächte“, gegen verdeckte Gegner, gegen Aufstände oder zetteln solche selber an.
Die Geschichte steht still in der ständigen Unruhe des egoistischen Kampfes aller gegen alle – so etwa die „Vision“ des Herrn McFate .
Im weltweiten Beuteraum der durable disorder gibt es auf unterer oder mittlerer Ebene durchaus viele weitere Gruppen, die sich ihrerseits bereichern wollen und dazu eigene militärische Apparate aufbauen. So spricht McFate immer wieder davon, wie sich heute irgendwelche Milliardäre, große Firmen, Öl-Potentaten, Narco-Kartelle, ein Putin, afrikanische warlords usf. ihre Söldnerarmeen zusammenkaufen und sich Macht und Reichtum erkämpfen können. Das wichtigste und größte Territorium für diese Kämpfe ist in seinen Augen „Afrika“, aber auch Lateinamerika, wo v.a. Mexiko und andere „Narcostaaten“ schon längst derart konstituiert seien, oder bestimmte asiatische Regionen.
„Viele Menschen denken, dass failed states in den internationalen Beziehungen die Ausnahme seien; sie sind jedoch die Regel.“ (149)
„Die Erosion des Staates ermuntert neue Varianten globaler Mächte. Das Autoritätsvakuum, das übrigbleibt, wenn Staaten sich zurückziehen, wird von Aufständischen, Kalifaten, Firmenimperien, Narkostaaten, den Königreichen von warlords, Söldnerherren und Wüsteneien gefüllt werden.“ (149)
„Wir treten in eine Wirklichkeit ein, in der jeder mit genug Geld sich ein Militär mieten kann um zu tun, was immer er oder sie wünscht: Kriege beginnen, sie beenden, anderer Leute Eigentum an sich reißen, ganze Gruppen von Menschen ermorden oder retten….Wenn jedermann zum Kriegführen Söldner mieten kann, können die Ultrareichen eine neue Art von Macht in der Weltpolitik bilden.“
„Wer wird sich in dieser neuen Klasse von Weltmächten finden? Die globalen ein Prozent, so viel sei für Anfänger gesagt. Im Jahre 2015 besaßen gerade einmal 62 Personen mehr Reichtum als die ärmste Hälfte des Planeten. Anders ausgedrückt, ein Bus voller Tycoons besitzt mehr als 3,6 Milliarden Menschen zusammen, was diese Magnaten zu den 0,000002 Prozent macht. Die Konsolidierung von Spitzenreichtum ist ein wachsender Trend.“ (151)
In der Folge würden die Megafirmen und die globalen 1 Prozent in die eigene Sicherheit investieren, unter der Voraussetzung, dass Söldner verfügbar und legitimiert sein werden (wofür McFate durchgängig plädiert) (152) Der Krieg wird zur Ware (185, 193), die Söldnerkontingente werden an der Börse gehandelt und das Objekt von Investoren.
Zudem haben die USA auf globaler Ebene noch lebensgefährliche große Konkurrenten und Herausforderer, „revisionistische Staaten“: China und wohl auch Russland.
Die Frage, ob es einen großen historischen Kampf um die globale Hegemonie gibt, bspw. zwischen den USA und China, und ob hieraus in Zukunft ähnlich gigantische Zusammenstöße wie im 20. Jh. entstehen können bzw. sogar müssen, unter Einsatz massivster militärischer Vernichtungspotentiale, interessiert den Autor allerdings merkwürdigerweise kaum. Er verspottet bemerkenswerterweise mehrfach diejenigen US-Strategen, deren Denken und deren extrem technisierte, extrem massenvernichtende und extrem teure Rüstungen sich auf solche Möglichkeiten konzentrieren. Jedenfalls aber empfiehlt er auch solchen Strategen der – ihrer Meinung nach – kommenden großen historischen Konfrontationen solche angeblich neuen Methoden der vielfältigen, flexiblen und großenteils verdeckten Kriegführung, wie er sie generell für den Weltzustand der durable disorder für angemessen hält.
Ausgangspunkt ist für McFate die Frage, warum die USA in den letzten 70 Jahren ihre Kriege – mit wenigen unbedeutenden Ausnahmen – alle verloren haben. Diese Frage versucht McFate militärtheoretisch zu beleuchten. Seiner Meinung nach haben die heutigen militärischen Chefs der USA leider Ansichten über das Wesen des Krieges, die in der Vergangenheit gebildet wurden und vielleicht auf frühere Kriege zutrafen, aber nicht mehr auf die heute sich herausbildenden Formen und Facetten von Krieg. Seiner Meinung nach öffnet er ihnen die Augen für die heutige Realität.
Dabei rekurriert er auf historische, gesellschaftliche und politische Gegebenheiten. Deren Verständnis sei erforderlich, um militärische Strategien von heute entwickeln zu können.
Dieser Gedanke ist prinzipiell richtig, doch der Autor vermag ihn nicht mit Leben zu füllen; er ist historisch zu unwissend, er kennt nur ein paar Anekdoten, ein paar Einzelheiten. Seine politischen Analysen sind das reine Debakel. Zur kritischen Reflexion über gesellschaftlich-politische Zusammenhänge ist er nicht in der Lage. Bei seinen Äußerungen über strategische Niederlagen der USA, bspw. den Vietnam-Krieg, die Interventionen in Irak und Afghanistan, bleibt er an einer Oberfläche hängen. Diese Kriege wurden verloren, in der Ansicht von McFate, weil die USA in den Medien ungeschickt agiert haben, und/oder weil sie nicht mit genügender Rigorosität und Massivität ihre Gegner niedergewalzt haben. Bewundernd erzählt McFate vom Beispiel der Radikalität der antiken Römer bei der Niederschlagung jüdischer Aufstände unter Vespasian und Titus, d.h. von rücksichtlosem Massenmord, bis nicht nur kein Aufständischer mehr am Leben war, sondern auch die Masse der Bevölkerung so dezimiert und erschöpft, dass für Auflehnung nicht mehr die mindeste Energie vorhanden war.
Die politischen Fundamentalia solcher Kriege der USA wie in Vietnam (bis 1975) und später im Irak und in Afghanistan hingegen sind für McFate jedoch keiner Erwähnung wert. Ihn interessiert offensichtlich nicht bspw. die Motivationsgrundlage der USA für die Kriege in Korea und Vietnam, die man im Kampf um kapitalistisch-imperialistische geopolitische Schlüsselpositionen gegenüber der sich konsolidierenden, damals noch in mancher Hinsicht sozialistischen Sowjetunion der Zeit nach 1945 und gegenüber dem revolutionären China sehen kann. Er macht auch keinen Ansatz, die für die USA schließlich negative Entwicklung dieser ihrer Kriegsunternehmungen mit weltpolitischen Verschiebungen der betreffenden Zeitabschnitte zu verknüpfen.
Was ist das für eine Herleitung von Militärischem aus Politischem, die McFate doch – im höchst Allgemeinen – so konsequent zu fordern scheint, wenn solche politischen Grundkonstellationen und –ziele bei ihm nicht einmal erwähnt werden?
Nicht einmal die offiziellen politischen Begründungen der USA für die erwähnten Kriege werden von McFate einer Erwähnung gewürdigt – warum? Könnten die, wenn auch einseitig, vielleicht zu politisch ausfallen und von daher auf die Notwendigkeit einer genaueren kritischen Analyse der Politik hinführen? Politik ist für McFate nur die Berücksichtigung der aktuellen Strukturen der jeweiligen Räubergegner und Raubkonkurrenten, auf die man flexibel, bspw. auch mit verdeckten Aktionen und geschickter Propaganda, sich einschießen müsse. Sun Tzu wird ausführlich zitiert und empfohlen, ein Autor, der anscheinend zwar einige militärische Tricks kannte, aber ebenfalls des Historischen und Politischen auf höherer Ebene sich enthielt.
Das zweifelhafte wissenschaftliche Niveau wird z.B. auch in den wiederholten Abwertungen des Militärtheoretikers Clausewitz durch den Autor deutlich. Lt. McFate kannte dieser nur das Prinzip der großen Entscheidungsschlacht zwischen kriegführenden Staaten. Dass Clausewitz durchaus auch ganz andere Formen im Auge hatte und bspw. ausdrücklich eine Theorie des Guerillakrieges entwickelt hat, ist McFate anscheinend entgangen.
Der Zwiespalt zwischen einem Ansatz, der die zu führenden Kriege prinzipiell als politische Ereignisse kategorisiert und dementsprechend fordert, Strategie und Taktik politisch abzuleiten – bspw. daraus, welche gesellschaftlichen Zustand man als Ergebnis der Kriegsbemühungen anstrebt, welche Art von „Frieden“ oder von Dauerkonflikt man realistischerweise anstrebt -, der Widerspruch zwischen diesem Anspruch und dem geradezu schwachköpfigen eigenen politischen Horizont prägt dieses merkwürdige Buch.
Wie es zum heutigen globalen Zustand gekommen ist, in dem die USA nach McFates Ansicht nun so viele und so neuartige Kriege werden führen müssen, und wie die Welt aus den auch in McFates Augen so blutigen und brutalen Verhältnissen herauskommen oder sie wenigstens mildern könnte, das interessiert ihn überhaupt nicht. Sein Bild der Gegenwart und der Zukunft ist eigentlich stationär, ahistorisch, in den Einzelheiten jedoch von verwirrender Machtdynamik und allgemeinem, oft verdeckt geführtem Kampf aller gegen alle geprägt – alle Akteure, die USA eingeschlossen, handeln aus primitivstem privategoistischem Beute- und Selbstbereicherungsstreben, und da konsolidiert sich nichts so recht. Kapitalismus eben, im unschönsten seiner Selbstbilder.
Es ist eine Fortschreibung heutiger Zustände, wie sie der US-Kapitalismus zusammen mit bestimmten Teilen seines gigantesken militärischen Apparates wohl selbst sieht. Er hat sie ja in der Tat zu erheblichen Teilen in der Welt von heute selbst geschaffen. McFate liefert eine Verewigungspropaganda für diese Zustände. Diese ist die politische Botschaft hinter und über seinem militärtheoretischen Fachgerassel. Man ist versucht zu hoffen, dass „Strategen“ seinesgleichen in den USA die Oberhand bekommen oder bereits haben – dann ist diese Supermacht noch schneller Geschichte. Aber ob Ansichten wie die von McFate eher repräsentativ oder vielmehr eher außenseiterisch stehen in der mentalen Welt von US-Strategen und Politikern, entzieht sich meiner Kenntnis.
Aus diesem ebenso brutalen wie dummen, aber in manchen Aspekten durchaus nicht unrealistischen Buch leiten sich eigentlich zwingend solche Fragen ab, wie sie McFate so gar nicht liebt. Er geht jeder Infragestellung der von ihm geschilderten heutigen Verhältnisse aus dem Weg. Was ihn einzig interessiert, ist, wie die USA in diesen Verhältnissen möglichst zu Siegen kommen könnten, und wie das Söldnerwesen im Dienste der USA, aber auch bei unteren Akteuren ausgeweitet und perfektioniert werden könnte. „Victory in the Age of Durable Disorder.“
Dass die menschliche Gesellschaft in permanentem Krieg bzw. einer ständigen Durchmischung von Krieg und Frieden leben müsse, ist für ihn ausdrücklich eine Naturtatsache. Das mit der „Westfälischen“ Ordnung (1648) etablierte Monopol regelrechter Staaten auf Kriegführung, nämlich untereinander, ist für ihn eine historische Ausnahme und inzwischen obsolet. Heute führen lt. McFate nicht nur Staaten, sondern auch Milliardäre, große private Firmen, Verbrecherbanden usf., vielleicht auch NGOs Krieg untereinander, und das ist unvermeidlich, ist der gesellschaftliche Normalzustand. Jeglicher Reflexion über mögliche Weiterentwicklungen der Gesellschaft über einen solchen „Naturzustand“ hinaus wird von vornherein eine Absage erteilt.
Selbst eine weniger prinzipielle, relativere Fragstellung, wie z.B. ob „Afrika“ vielleicht aus seiner Rolle als permanentes Beutegebiet von Imperialisten und massenschlächterischen warlords herauswachsen könnte, ob solche Zustände eingedämmt und reduziert werden könnten, erscheint bei ihm gar nicht erst. Höchstens könnten irgendwelche Machtcliquen auch einmal Eigeninteresse entwickeln dahingehend, ihnen gehörige Territorien und Bevölkerungen aus dem allgemeinen blutigen Chaos herauszunehmen. Das konzediert McFate zwar, aber es interessiert ihn offensichtlich nicht.
Eben so wenig wird man bei ihm Interesse finden für die Überlegung, ob es außer seinem angelsächsischen imperialistischen Raubkapitalismus andere Varianten des Kapitalismus geben könnte, oder vielleicht sogar grundsätzlich andere ökonomische und gesellschaftliche Strukturen, die aus sich heraus einem globalen Konzept der durable disorder sich verweigern oder widersetzen könnten. Der in Entstehung begriffene chinesische Imperialismus, oder die europäische Variante eines regulierteren Kapitalismus – werden die vielleicht andere Wege gehen? Werden gesellschaftliche Grundströmungen entstehen, die sich einer Weltherrschaft der durable disorder mit einer USA im Zentrum widersetzen und sich behaupten können?