Europa: einige Fragen zu seiner Geschichte und Zukunft. Europa, China und die USA

(Wichtiger Nachtrag – 26.05.2019 – wegen der US-Entscheidungen gegen Huawei: unten angehängt.)

 

Im Wahlkampf um die Sitze im EU-Parlament sind fast alle Parteien in Deutschland jetzt Europa-Fans. Man zeigt sich engagiert für das  Gesamtgebilde; auch Organisationen, die früher die europäische Integration überhaupt oder jedenfalls ihre bisherige oberste Klammer, den Euro abgelehnt hatten, unterlassen das mittlerweile eher; nur ausgesprochene Rand- und Restkräfte wie Neonazis oder die DKP stänkern in alter Art weiter. In anderen wichtigen europäischen Ländern wie Frankreich dürfte das ähnlich sich entwickelt haben, nachdem bspw. der „Front National“ mit seiner Verteufelung der europäischen Integration auf die Nase gefallen und zerspalten ist.

 

Die Qualität der Pro-Europa-Wahlpropaganda solcher Parteien wie CDU, SPD, Grünen etc. ist freilich so bescheiden, dass sie fast schon wieder abschreckend wirken kann. Das soll jedoch hier nicht Thema sein. Eine weit interessantere und prinzipiellere Frage lautet vielmehr wohl etwa so:  ist ein sich weiter integrierendes Europa überhaupt ein lebensfähiges politisches Gebilde? Hat es in der rauen internationalen Auseinandersetzung – man denke nur an die Rivalität zwischen den USA und China, aber auch an die riesigen Probleme der zurückgebliebenen Teile der Welt, bspw. an Afrika, bspw. an die muslimisch geprägten Zonen – überhaupt  Chancen zu bestehen und sich vielleicht sogar zu konsolidieren? Kann es nach außen, im internationalen Geschehen positive Impulse geben?

 

Imperialismus, Neokolonialismus und die heutige globale Konstellation

Zweifellos ist auch Europa Imperialismus. Es war in der Vergangenheit der Ursprung von Kolonialismus und Imperialismus, namentlich durch Großbritannien und Frankreich, mit Deutschland als einem nicht sonderlich erfolgreichen Nachzügler.

Heute ist Europa noch immer Imperialismus,  zunächst einmal in der Grundgegebenheit, dass entwickelte und kapitalreiche kapitalistische Länder schwächere Länder und Gesellschaften rund um den Globus wirtschaftlich zu dominieren suchen und ihnen ungleiche Beziehungen aufzwingen. Aus der krassen Ungleichheit der Löhne, aus der krassen Ausbeutung von Natur und Bodenschätzen der unterlegenen durch die überlegenen kapitalistischen Länder fließen diesen noch immer unglaubliche Profite zu. Ohne diese weltweite Ausbeutung wären die eigenen gesellschaftlichen Systeme der entwickelten Länder längst bankrott gegangen oder in Revolutionen umgestaltet worden. Auf der anderen Seite dieser scheinbaren Stabilität erscheint die Impotenz der schwächeren Teile der Welt wie unabänderliches Schicksal.

Immerhin passen bestimmte wichtige Länder der sog. Dritten Welt heute nicht mehr in dieses Grundschema, bzw. sie sind dabei sich ihm zu entwinden. Das größte und durchschlagendste Beispiel ist China selbst, das eine steile Karriere von der Halbkolonie des Westens und Japans zum Aspiranten auf die globale Hegemonie hingelegt hat; aber auch ein Land wie Indien, das bald das bevölkerungsreichste der Welt sein wird,  noch vor dem inzwischen alternden China; oder Brasilien – solche Länder sind heute nicht mehr so unterworfen wie früher.

Welche Besonderheiten weist nun der heutige europäische Imperialismus gegenüber  dem Imperialismus Chinas und dem der USA auf? Und noch eine wichtige Frage:  welche Besonderheiten weist die heutige imperialistischen  Konkurrenz zwischen den USA, China und der EU auf im Vergleich mit der historischen imperialistischen  Konkurrenz zwischen Großbritannien, Frankreich, Deutschland, den USA und Japan, wie sie vor einem Jahrhundert u.a. Lenin beschrieben hatte?

Lenin analysierte den damaligen Imperialismus als eine Entwicklungsstufe des Kapitalismus (in seinen Augen war es die letzte), der als Kolonialismus agiert, die Welt unter die entwickelten kapitalistischen Mächte aufteilt und sich in kriegsträchtige Konflikte aufgrund globaler imperialistischer Rivalitäten verwickelt.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat der damals typische Kolonialismus zwar seit längerem ausgedient, die Ausbeutung der Welt durch die stärksten kapitalistischen Länder jedoch hat ein Ausmaß erreicht, dem gegenüber die alte koloniale fast idyllisch wirkt. Seit langem benutzt man dafür den Begriff Neokolonialismus. Der Krieg, in vielen Fällen durch proxies, ist zum Dauerzustand in vielen armen Regionen der Welt geworden, und große direkte Zusammenstöße zwischen imperialistischen Mächten wie 1914-18 und 1939-1945 erscheinen wieder möglich, namentlich zwischen den USA und China bzw. zwischen entsprechenden Blöcken.

Die alten Kolonialmächte, vor allem Großbritannien und Frankreich, in Ostasien Japan, haben längst ihre Kolonien (bis auf kleine Reste) verloren, sich dem neokolonialen Modell angepasst und sind inzwischen sekundäre Akteure des neokolonialistischen kapitalistischen Systems, das heute meist euphemistisch als Globalisierung bezeichnet wird.

Der Haupttreiber und Hauptprofiteur des Neokolonialismus sind bisher die USA.  Auch die USA hatten Anfang des 20. Jhs. zunächst noch fast kolonialistisch  agiert und den Spaniern Kuba, die Philippinen abgenommen. Im weiteren perfektionierten die USA das modernere neokoloniale Vorgehen, d.h. sie errangen Abhängigkeiten schwacher Länder, indem sie deren staatliche Unabhängigkeit zwar formal bestehen ließen (teilweise sogar Entkolonialisierungen gegen die bisherigen Mächte unterstützten), jedoch die Eliten funktionalisierten oder mittels Putschen selbst bestimmten. In der eigenen Propaganda sollte der neokoloniale Profit den Anschein erhalten, als hätten die USA durch Überlegenheit im Konkurrenzkampf gegenüber  anderen Imperialisten und durch besondere verständnisvolle Förderung angeblich modernerer Strukturen in den abhängigen Ländern dort die Dominanz gegenüber der Bevölkerung und gegenüber eventuellen imperialistischen Konkurrenten, z.B. der Sowjetunion errungen.

Mit Globalisierung bezeichnen die heutigen kapitalistischen Ideologen, kurz gefasst, ein System maximaler weltweiter Freiheit und Freizügigkeit für das Kapital der mächtigen Länder, das mittels Hungerlöhnen und Rohstoffraub in großen Teilen der Welt maximale Profite generiert. Die Formen des Neokolonialismus sind variabel und passen sich ständig an.  Jedoch deutet sich an, dass mit der Verschärfung der Rivalität zwischen China und den USA die weltweiten Freiheiten des Kapitals eingeschränkt werden.

Das Beispiel Afrika. Kolonialismus, Neokolonialismus und China in Afrika

In Afrika gab und gibt es bspw. den Neokolonialismus Frankreichs, der in West- und teilweise Zentralafrika noch Positionen besetzt hält; es gibt den der USA, der stellenweise aggressiv gegen den Frankreichs vorgeht, s. den Fall Ruanda; der in Südafrika, dem einzigen teilweise industrialisierten Land Schwarzafrikas, durch die Beherrschung großer Unternehmen profitiert, in Kongo durch die Steuerung von lokalen warlords sich an der Ausplünderung beteiligt…. Auch die frühere Sowjetunion  war als neokolonialistische Macht in afrikanischen Gebieten zeitweise sehr aktiv, s. Äthiopien. Deutschland  agierte wohl bisher, wenn es in Afrika neokolonialen Profit machte, hauptsächlich unter dem Schirm der USA, verbindet sich derzeit aber stärker auch mit französischen Interessen.

Die heutige imperialistische  Konkurrenz in Afrika zeigt durchaus auch neue Züge:

China erschließt Afrika für sich als einen neuen Markt und neuen Lieferanten. Anders als die bisherigen Kolonialisten und Neokolonialisten USA, Frankreich, Sowjetunion, Großbritannien  etc. geht es –bisher – nicht militärisch dominant vor. China investiert hingegen sehr viel Geld in Afrika, es entsendet Millionen chinesischer Staatsangehöriger zum Aufbau von Infrastruktur, Landwirtschaft und wohl auch bestimmten Industrien und wird im Allgemeinen von vielen afrikanischen  Regierungen wohl als etwas Neues, Anderes, ihren eigenen Interessen Günstigeres wahrgenommen, auch wenn der Eigennutz der Chinesen deutlich wird.  Man kann die Frage stellen, ob mit den vielfältigen chinesischen Engagements in Afrika eine wenigstens partielle, jedoch deutlich stärkere  ökonomische Entwicklung in Gang gesetzt wird, zu denen die betreffenden Staaten aus eigenen  Kräften bisher nicht fähig waren und an der sie auch durch die neokoloniale Missachtung und Unterentwicklung, die der Westen über den Kontinent verhängt hatte, aktiv gehindert worden waren.

Ferner ändern sich auch durch das chinesische Vordringen in Afrika die Haltungen der bisherigen Neokolonialmächte, zumindest gibt es hier neue Tendenzen. Die Subordination der afrikanischen Regimes ist nicht mehr selbstverständlich und kann nicht mehr so einfach wie bisher durch ein paar Militärstützpunkte, Eingreiftruppen und gekaufte Milizenführer garantiert werden. Die Mächte sind gezwungen, in ökonomische und kulturelle Konkurrenz zu China einzutreten, sie müssen bereit sein, viel mehr Kapital (auch höherwertiges Kapital?)  anzubieten, um weiterhin im Geschäft zu bleiben bzw. ins Geschäft zu kommen. Die afrikanischen Regimes – oder gibt es in manchen Ländern mittlerweile führende Eliten, die bessere Bezeichnungen verdienen? – können die imperialistischen  Konkurrenten gegeneinander ausspielen. Sie werden in der Regel auswählen, was ihren eigenen Taschen den größten Zufluss verspricht, jedoch weckt die ökonomische Belebung, die für manche Länder bereits in Gang kommt, auch Teile der Bevölkerung auf, macht sie sozial anspruchsvoller, gebildeter, fähiger.

Es kommt eine neokolonialistische Konkurrenz in und um Afrika in Gang, die nach meinem Eindruck  für den Kontinent nicht nur negative Seiten hat wie der bisherige allgemeine stagnative und korrupte Zustand.

Diese Bemerkungen können nicht mehr sein als ein Versuch, bestimmte Tendenzen zu formulieren, die sich mit einiger Wahrscheinlichkeit aus heutigen globalen Entwicklungen ergeben. Ob und wie stark sie in der Praxis sich durchsetzen, hängt von zahllosen konkreten Bedingungen in den sehr unterschiedlichen Ländern und Regionen des Kontinents und auch von der konkreten Entwicklung der globalen imperialistischen  Rivalität ab.

Chinas „Neue-Seidenstraße“-Projekte und die Rolle Europas. „Eurasien“ und die USA

Der Blick auf Afrika regt an, sich für andere, gleichfalls seit langem vor sich hin stagnierende Regionen auf dem Globus ähnliche Fragen zu stellen. Damit kommen wir zu den Projekten Chinas in Zentralasien und angrenzenden Regionen, die unter den Schlagworten „Neue Seidenstraße“ bzw. OBOR[1] inzwischen große Publizität erlangt haben.

Bisher war der westliche kapitalistisch-imperialistische Komplex ähnlich wie in Afrika wenig interessiert an ökonomischer Entwicklung zentralasiatischer und auch bestimmter südasiatischer Regionen, des Riesenraumes zwischen der Türkei im Westen und China im Osten, einschließlich  bspw. Pakistans oder auch Indiens insgesamt. Hier wurde und wird nicht viel investiert, um so mehr fällt negativ auf das die vergangenen Jahrzehnte prägende Streben insbesondere  der USA, in diesem Riesenraum entscheidende militärisch-strategische Positionen zu erobern, und zwar gegenüber Russland und China. Die wüsten Zerstörungen, die die USA hier in den letzten Jahrzehnten angerichtet haben – zwei Irakkriege, der Afghanistankrieg als die krassesten und offensichtlichsten Beispiele – haben ihrerseits die ökonomische Lebenskraft, die Initiative von Regierungen und Gesellschaften in diesen Regionen sehr geschwächt. Es ist alles andere als unerwartet, wenn in diesem Raum Armut, Fatalismus, Islamismus, gesellschaftliche Zerspaltungen etc. noch viel stärker geworden sind als sie traditionellerweise wohl schon gewesen waren –  danke, USA!

Nun kommt China mit großen ökonomischen Erschließungsangeboten unter Titeln wie Neue Seidenstraße oder OBOR und beginnt in Ländern wie Pakistan und  Afghanistan bis hin nach Syrien und der Türkei, aber auch auf den südostasiatischen Festland, das früher Indochina hieß, zu investieren, baut Bergwerke, Straßen, Eisenbahnen, Kraftwerke etc. pp. und bietet noch viel mehr an. Es will damit die Infrastrukturen schaffen, um diese Regionen für seinen Kapitalismus zu erschließen.

Zu den wichtigsten Zielen dabei dürfte die Schaffung einer festen und profitablen „eurasischen“ ökonomischen und politischen Brücke nach Europa hin gehören.

Derartige Konzepte fordern die gesamte globale hegemonistische Konzeption der USA heraus und kündigen ihr mögliches Ende an; es entstünde der bei weitem größte Wirtschaftsraum unter weitgehendem Ausschluss der USA, jedenfalls unter Aufkündigung ihrer militärischen Hegemonie, deren versuchte Erringung in den vergangenen Jahrzehnten zu so viel Krieg und Rückwärtsentwicklung für die Region geführt hat.

Den Europäern bietet das chinesische Konzept enorme Möglichkeiten sich zu beteiligen und mit zu profitieren. Es locken Aussichten auf Beteiligungen an ökonomischen Entwicklungsprojekten in einem historisch unerhörten Ausmaß. Die wird man in Europa sich nicht entgehen lassen. Ich zweifle dabei nicht daran, dass Chinas Hegemoniestreben nicht nur die asiatischen Zwischenzone zu Europa umfasst, sondern auf längere Sicht Europa selbst, das dann als der westliche Außenposten eines chinesisch dominierten Eurasien figurieren soll und sich schließlich unterordnen müsste. Bis dahin wäre es jedoch noch ein längerer Weg – wenn er denn überhaupt von europäischer Seite beschritten werden sollte.

Es würden hierbei sehr unterschiedliche Grundstrukturen kombiniert. Im chinesischen traditionellen kulturellen Selbstverständnis ist China der Mittelpunkt der Welt, von dem aus diese legitimerweise beherrscht wird –  die näheren Nachbarn direkter, stärker, die entfernteren weniger streng.

Auf der anderen Seite haben in Europa vergleichbare „europazentrische“ Konzeptionen nach dem geschichtlichen Scheitern des europäischen Kolonialismus keinen Boden mehr.  Während China versuchen muss, auf dem Weg zu mehr europäischer Kooperation und letztlich Subordination die europäische Einheit zu unterlaufen oder direkt zu spalten, kann Europa gegenüber China derartige Strategien kaum erwägen. China ist jedenfalls kein sich mühsam zusammenraufender Staatenbund, dessen Zusammenhalt ständig in Frage steht, sondern die wohl in sich festgefügteste, historisch über die längste Zeit bestätigte und nahezu die einheitlichste Nation überhaupt (Grenzgebiete wie Tibet und Xinjiang ausgenommen, in denen aber eine immer weiter gehende Sinisierung im Gang ist). China kämpft neu um die Welthegemonie, Europa nicht mehr. China wird sie allerdings nicht erreichen, weil das chinesische System weltweit zu wenig Attraktivität ausstrahlt und zu viel Widerstand provozieren muss. Daher können Ergebnisse der bevorstehenden weltweiten Kämpfe ebenso wenig prognostiziert werden wie ihre – mit Sicherheit tiefen – Rückwirkungen auf die chinesische Gesellschaft selbst­­.

Der derzeitige Spannungszustand der Welt wird vor allem von der chinesisch-amerikanischen Rivalität geprägt, in der Europa als ein weit weniger mächtiges und relativ fragiles Gebilde versuchen muss, gegenüber beiden Seiten sich zu behaupten und eine relative weltpolitische Eigenbeweglichkeit zu erreichen. Es kann nicht umhin, die mit China sich bietenden ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten wahrzunehmen, auf der anderen Seite jedoch zusammen mit den USA als einem Gegengewicht, dem militärisch bislang noch wichtigsten Gegengewicht gegen Chinas Hegemonieanspruch, gewisse Beziehungen zu pflegen.

Eine gewichtige und sehr unsichere Komponente für die unterschiedlichen „Eurasien“- Konzepte bildet Russland.[2] Das flächenmäßig größte Land der Erde, militärisch noch immer höchstgerüstet und wohl noch immer fähig, der militärischen Erpressung durch die USA etwas entgegenzusetzen, ist gleichzeitig arm an Bevölkerung, vor allem im riesigen, an China angrenzenden Sibirien, und hat eine relativ sehr schwache industrielle Basis. Russland könnte größere internationale kriegerische Auseinandersetzungen nicht allein und auf eigene Rechnung bestehen, sondern müsste neutral zu bleiben versuchen oder sich einer Seite anschließen. Es wird daher sowohl von China als Bündnispartner gegenüber  den USA wie auch von den USA als potentieller Bündnispartner gegenüber  China heftig umworben. Letztere Variante verkörpert derzeit ein Herr Trump; in den USA gibt es aber auch die Richtung, die ein Zusammengehen mit China gegen Russland (und Europa)  befürwortet. Entsprechende unterschiedliche Strömungen existieren in China.  Für die chinesische „Eurasien“- Strategie ist Russland unverzichtbar – wenn Russland ihr grundsätzlich entgegenarbeiten würde, wäre das Projekt verkrüppelt. In Russland aber sieht man die Gefahr, durch zu viel Kooperation mit dem ungleich stärkeren China auf Vasallenniveau herunterzukommen. Russland, geographisch zum Teil und kulturell weitgehend selbst ein europäisches Land, wird von daher es wohl immer versuchen müssen, mit seinen westlichen europäischen Nachbarn es nicht völlig zu verderben, um Gegengewichte gegen China in Anspruch nehmen zu können. Chancen dieser Art müssen die Europäer nutzen. Russland kann aber sehr wohl auch mit den USA gegen die Europäer und/oder gegen China zusammengehen, daher kann man unmöglich vorhersagen, wie sich die Konstellationen auf dem eurasischen Kontinent entwickeln und unter welchen die nächsten Kriege begonnen werden.

Als eine ironische Fußnote kann hier  der eigene originalrussische „Eurasianismus“ erwähnt werden, der eine vermeintliche kulturell-spirituelle und von daher auch gefühlte machtpolitische Überlegenheit kultiviert – sowohl gegenüber dem ‚dekadenten‘ Westeuropa wie gegenüber der ‚gelben Gefahr‘ im Osten – und seinerseits groteskerweise die Führung im gesamten Doppelkontinent beansprucht.

Um ein paar Punkte aus der bisherigen Erörterung zu fixieren, könnte man sagen: der europäische Kapitalismus-Imperialismus ist kapitalmäßig und als militärische Macht heute zweitrangig. Er steht zudem unter der Drohung, durch die größeren Mächte der heutigen Welt, die USA und China, vereinnahmt und möglicherweise zwischen ihnen zerrieben zu werden. Das zwingt ihn zu vorsichtigerem, weniger kriegerischem und den Belangen Anderer etwas offenerem Taktieren auf globalem Niveau.

 

Kulturgeschichtliche Aspekte der Lebensfähigkeit Europas

Nach diesen Streiflichtern auf die heutige globale kapitalistische, neokoloniale und imperialistische Rivalität mit ihren Brennpunkten wie dem Aufstieg Chinas möchte ich noch etwas mehr Anhaltspunkte für die Frage der politischen und gesellschaftlichen Überlebensfähigkeit Europas zu gewinnen versuchen, indem ich viel weiter in kulturgeschichtliche Grundfragen zurückgehe als bloß in die letzten paar Jahrhunderte des Kolonialismus.

Zwischen den heute rivalisierenden Entitäten USA, Europa und China bestehen auch große Unterschiede in den gesellschaftlichen Systemen, in der allgemeinen Kultur. Solche Unterschiede haben sich in Jahrhunderten, im Falle Chinas sogar in Jahrtausenden herausgebildet. Was für Auswirkungen haben diese Unterschiede, sollten sie überhaupt einigermaßen korrekt erfassbar sein, auf die Entwicklungsperspektiven der betreffenden Gesellschaften, auf den Charakter ihrer Auseinandersetzungen?

Zunächst ein paar Bemerkungen zu China.

Chinesische Hochkultur erscheint spätestens im zweiten Jahrtausend vuZ greifbar. Im Gegensatz zu unserem Wissen über die Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens, die bereits aus der Zeit vor dem Jahr 3000 vuZ eindrucksvolle Zeugnisse hinterlassen haben und in mancher Hinsicht zu den Vorläufern der europäischen Entwicklungen gehören, ist im Falle China für das vierte, dritte und zweite Jahrtausend vuZ bisher wohl relativ wenig greifbar. Die Entwicklung im ersten Jahrtausend vuZ allerdings ist dann offenbar gewaltig, dynamisch und voller bedeutender kultureller Leistungen gewesen, die zudem viele bedeutende schriftliche Quellen hinterlassen haben. Sie kulminiert mit dem Jahr 221 vuZ in der ersten politischen Vereinigung der größten Teile des heutigen China unter dem ersten Kaiser.

Ihr waren jahrhundertelange heftige Kämpfe um Gesellschaftsordnung und Ideologie vorausgegangen; insbesondere die zwischen Konfuzianismus und Legalismus stechen hervor, die dann weiterhin in wechselnden historischen Synthesen bis heute das chinesische Verständnis von Staat und Gesellschaft geprägt haben. Daneben bot China aber auch immer Raum für andersartige Denk- und Lebensweisen, bspw. den Daoismus, später auch den Buddhismus und seit dem 19. Jh. auch hier und da für das Christentum, den europäischen Liberalismus und Marxismus usf.

Der Konfuzianismus  ist aus archaischen Clanstrukturen hervorgegangen und betont bis heute die Vergesellschaftung gemäß Abstammungsprinzipien. Konfuzius (chin. Kung-dsi)  versuchte in seiner Zeit gegen die Auflösung der Blutszusammenhänge zu mobilisieren, die von  den altherkömmlichen diversen Clan-Aristokratien mythisch verklärt wurden und die maximale Folgsamkeit ihrer Untertanen gemäß solchen Prinzipien wie ‚Kindespietät gegenüber den Vorfahren‘ garantieren sollten; gleichzeitig bedeuteten sie auch die Zersplitterung des Landes unter willkürlich schaltenden dekadenten Aristokratendynastien wie der „westlichen Dschou“, dem großen Bezugspunkt des Meisters Kung. Die Legalisten hingegen kamen den Notwendigkeiten besser nach, bei großen Bevölkerungszahlen effektive Regierungen über große Räume zu schaffen, vor allem mittels der Etablierung gesetzlich festgelegter  Verantwortlichkeiten der Produzenten und Soldaten für das Gesamtsystem, ungeachtet ihrer jeweiligen Abstammungen. Dieses Gesamtsystem sollte in einem  nur ‚dem Himmel‘  verpflichteten Kaiser sich verkörpern.

Offenbar kam es in der Reihe der folgenden Jahrhunderte zu Synthesen beider Prinzipien: China wurde zu einem straff zentralistischen, von einer enormen Beamtenhierarchie unter einem Kaiser verwalteten System, in dem die Clans aber weiterhin  wesentliche Elemente der Vergesellschaftung beitrugen. Die Bauernbevölkerung stand so einerseits unter Clanforderungen und befolgte konfuzianische Rituale, bspw. den Ahnenkult,  andererseits unter den Zwängen eines Steuer- und Beamtenstaates mit der mittleren grundbesitzenden Aristokratie, der Gentry, als der lokalen und mit dem kaiserlichen Beamtenapparat verknüpften Macht- und Ausbeutungsebene. Das Gesamtsystem war letztlich, insbesondere unter der letzten kaiserlichen Dynastie, den Mandschuherrschern (seit Mitte des 17. Jhs. bis 1911), extrem stagnativ geworden und konnte dem Einfall der imperialistischen Mächte, zunächst der Briten seit den Opiumkriegen (1839 ff.) keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen. Erst die von der Kommunistischen Partei Chinas  unter  Mao Zedong  erfolgreich geführten Kämpfe gegen den japanischen und indirekt gegen den amerikanischen Imperialismus sowie gegen die Grundbesitzerherrschaft im Lande konnten die Kräfte der chinesischen Nation wieder freisetzen.

Freilich scheiterte  Mao Zedong  mit seinem letzten und radikalsten Umgestaltungsversuch, der Kulturrevolution, die China sowohl vom Konfuzianismus wie vom unerwartet zähen Weiterleben des kaiserlichen Zwangsstaats in der eigenen Regierungspartei  befreien und freiwilligeren, moderneren Vergesellschaftungsformen wie den agrarischen Genossenschaften den Weg frei machen sollte. Aber immerhin: ohne die Grundlagen, die die zahllosen Fortschritte der sozialistischen Periode in China geschaffen hatten, wäre die explosive und in gewisser Weise auch großartige Entwicklung der kapitalistischen modernen Gesellschaft seit seinem Nachfolger Deng Xiao-Ping nicht möglich gewesen.

Im heutigen China tobt sich heute ein extrem rücksichtsloser, asozialer Kapitalismus aus, dem auch die übrige Welt als Expansionsraum gerade recht kommt. Die zentrale politische Kontrolle obliegt einer Staatspartei, die die sozialistischen Züge ihrer Aufstiegsphase gründlich abgelegt hat und erneut, vergleichbar dem früheren kaiserlichen System, konfuzianische Demutsforderungen kombiniert  mit zentraler polizeilicher Kontrolle und imperialen Ansprüchen nach außen.

Stabilität wird sich daher nicht eben als die hervorstechendste Eigenschaft des heutigen kapitalistischen China erweisen. Kapitalismus ist per se krisenhaft, erst recht der wüste  Kapitalismus des heutigen China. Die inneren Krisen, die China bevorstehen, werden nicht nur das Land selbst, sondern die Welt erschüttern. Da große Teile der chinesischen Bevölkerung inzwischen im kapitalistischen Sinne proletarisiert sind – allein die Zahl der weitgehend rechtlosen Wanderarbeiter, die für Apple, Huawei etc. und für die baulichen Errichtungen der trostlosen neuen Vielmillionenstädte die Hauptarbeit machen, beträgt um die 300 Millionen –,  kann man künftige genuin proletarische Bewegungen keineswegs ausschließen, ebensowenig aber auch Regierungsstrategien der Ableitung der inneren Widersprüche in imperialistische Expansion nach außen, wie sie zweifellos in Konzepten wie OBOR mit angelegt ist. In derartigen Strategien würden sich altchinesische Vorstellungen von der Zentralisierung der Welt unter China wohl verbinden mit dem lebendigen Wunsch großer Bevölkerungsteile, sich für die koloniale Demütigung durch den Westen und Japan in der jüngeren Vergangenheit zu rächen oder schadlos zu halten. Die expansive Dynamik des heutigen chinesischen Systems kann wohl kaum überschätzt werden.

 

Nun ein paar Gedanken zu den Besonderheiten Europas als einer über mehrere Jahrtausende hin entwickelten kulturellen Erscheinung. In vielen Aspekten zeigt sich sehr Andersartiges als in China und auch als in den USA, obgleich der Yankee-Kapitalismus und –Imperialismus aus einer europäischen Kolonisierung Nordamerikas hervorgegangen ist und von daher auch als Teilphänomen der europäischen Kultur verstanden werden muss. Allerdings geht das Teilphänomen seit Langem eigene Wege, machte sich schon spätestens Mitte des 20.Jhs. anheischig, das alte Europa seinerseits zu beherrschen oder wenigstens zu instrumentalisieren und umzuprägen – und sticht heute mehr denn je in vielen Aspekten deutlich ab. Es ist Zeit für eine Abgrenzung auch in diese Himmelsrichtung.

 

Was nach meinen Eindrücken Europa am meisten kennzeichnet und in der Jetztzeit wieder als Quelle von Stärke und erneuter Entwicklungsfähigkeit erfasst werden sollte, ist seine einmalige Vielfalt, die Tiefe seiner historischen Erfahrungen und die Spitzenstellung, die seine Zivilisation im Weltmaßstab seit mehreren Jahrhunderten erobert hat, darunter zwar auch mit brutalsten Mitteln von Kolonialismus und Imperialismus, aber keineswegs nur allein damit.

Was es bspw. von China unterscheidet: Europa war nach dem Ende der römischen Herrschaft in der Völkerwanderungszeit, d.h. seit etwa 450 uZ, nie zentralisiert, sondern hat sich als Neben-, Mit- und oft erbittertes Gegeneinander der unterschiedlichsten Völkerschaften, Regierungssysteme, Sprachen und Religionen entwickelt, bis die heutigen Weltverhältnisse die europäischen Nationen nun zu engeren Zusammenschlüssen nötigen. Diese werden wohl kaum sehr zentralistisch ausfallen, sondern müssen auf anderen Wegen entwickelt werden.

In diesem sehr vielfältigen, doch immer auch zusammenhängenden und sich selbst als zusammenhängend erfahrenden Raum haben sich seit mindestens tausend Jahren auch sehr widersprüchlich Kräfte im Innenleben der jeweiligen Staaten entwickelt und aneinander abgearbeitet. Im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit[3] kulminierten die gesellschaftlichen Spannungen vor allem in Bauernaufständen gegen den feudalen großen Grundbesitz, in der Emanzipation von Städten (frühbürgerlich geprägten Stadtrepubliken) gegenüber den Feudalen; in der französischen Revolution befreite sich das Bürgertum von der aristokratischen Bevormundung;  später bildeten sich Proletariat und industrielle Bourgeoise als das wichtigste Gegensatzpaar in der Gesellschaft heraus und trugen zahlreiche bedeutende Kämpfe  aus, unter denen die Pariser Kommune von 1871, die deutsche Räte- und Arbeiterbewegung der Jahre 1918 ff., die russische Oktoberrevolution von 1917 und auch die wüste Konterrevolution der deutschen Nazis als die wohl bekanntesten Höhepunkte erwähnt werden können.

Ich fasse diese Erwähnung ganz  kurz, halte sie aber für äußerst gewichtig, weil diese Kämpfe unsere heutigen gesellschaftliche und politischen Verhältnisse noch immer, quasi  aus der Ferne, mit prägen, und ebenso die sozialen und politischen Mentalitäten, auch wenn die meisten heutigen Zeitgenossen von ihnen kaum noch etwas wissen.

Die USA verfügen von der eigenen, viel kürzeren Geschichte her auch nicht annähernd über diese Tiefe von gesellschaftlichen Erfahrungen wie Europa[4].

Die USA haben keine Revolutionen wie die französische nötig gehabt, weil sie ohne die europäische Aristokratie entstanden und groß geworden sind, sie haben es aber auch nicht zu derart großen und herausfordernden proletarischen Bewegungen gebracht wie der „alte Kontinent“. Die US-Bourgeoisie konnte die revolutionären Energien der Bevölkerung allezeit, bevor ihre Herrschaft prinzipiell herausgefordert werden konnte, in die Siedlerexpansion in Richtung Pazifik und später in die imperialistische Expansion ableiten. Die kaltschnäuzige Perfidie gegenüber der nordamerikanischen Urbevölkerung sowie die Sklaverei als Grundlage der Entwicklung der US-amerikanischen Bourgeoisie und die mit beiden Entwicklungen verbundenen rassistischen Grundeinstellungen prägen bis heute einige der weniger erfreulichen Seiten der US-Mentalität.

Von den USA unterscheidet Europa sich u.a. auch durch Traditionen und Gesetze, die einer Herrschaft des selbstzweckhaften Kapitalismus, der Gier nach geldmäßig erfassbarem individuellem Reichtum als zentralem gesellschaftlichem Imperativ  immer wieder Grenzen gesetzt haben und noch immer setzen.

Von China unterscheidet sich Europa bspw. auch durch grundlegende Denk- und Gesellschaftsmuster. Zweifellos kann Europa viel von Chinas Kultur lernen, so vielleicht hinsichtlich der harmonischen Beziehungen der menschlichen Organismen zu anderen Teilen der Natur, hinsichtlich der Offenheit des Denkens für Widersprüchlichkeiten der Materie und des Denkens über die Materie, hinsichtlich elementarer Dialektik.

Aber was China seinerseits noch weitgehend vor sich hat, ist die Anerkennung des Individuums, des Prinzips der persönlichen Individualität und Freiheit, und das damit zusammenhängende gesellschaftliche Denken.

Immer wieder ist bei Beobachtern Chinas auch die Rede davon, dass das chinesische Denken traditionell keine Transzendenz kennt. Modern gesprochen, bedeutet die europäische Tradition der Transzendentalität, dass man sowohl als Einzelner wie als Gesellschaft die jeweils gegebenen Zustände immer schon als zu Verbessernde, zu höheren menschlichen Freiheitsstufen weiter zu Entwickelnde versteht.

Diese Einstellung, quasi einer der Grundtriebe der europäischen Mentalität, geht zurück auf das Christentum, diejenige Religion, die Europa sehr tief geprägt hat. Ein wesentlicher Zug des Christentums ist die Forderung, die diesseitige  Welt der jenseitigen, der  besseren Welt anzuverwandeln, und zwar im Hier und Jetzt, in der konkreten materiellen Existenz der Menschen und der Natur.  Dieser Impuls hat, wenn auch neben recht andersartigen, aber ebenfalls christlichen  Impulsen, z.B.  der Weltflucht, der selbstquälerischen Verleugnung der eigenen materiellen individuellen Existenz, und durchaus im Kampf mit solchen Konzeptionen sich doch immer wieder behaupten können und sich in moderneren, nicht  mehr religiösen Weltanschauungen weiterentwickelt. Er ist im sozialen Denken und entsprechenden gesellschaftlichen Einrichtungen,  auch im politisch-revolutionären Denken, das in Europa spätestens seit den Bauernkriegen der beginnenden Neuzeit eine enorme Rolle spielt, als eine wichtige Wurzel weiterhin vorhanden. Das asiatische Denken betont traditionellerweise hingegen Formen der Entindividualisierung und der Einfügung in vermeintlich unwandelbare Gegebenheiten von Natur und Gesellschaft.

 

Europa hat auf derartigen Grundlagen die Wissenschaften und Künste in sehr viele Richtungen entwickelt, es hat ungeheure kreative, emanzipative, allerdings auch gewalttätige expansive Energien entfaltet, und von daher ist es das Hauptkraftzentrum der Entwicklungen auf dem Globus während der letzten Jahrhunderte  geworden. Wenn die notwendige Kritik an den Verbrechen des Kolonialismus, des Rassismus, der heutigen schnöden neokolonialen Ausbeutung anderer Völker endlich in die Breite und  Tiefe weiter entfaltet und praktisch umgesetzt werden kann in partnerschaftlichere  Verhältnisse zu den anderen Teilen der Welt, können die zivilisatorischen Grundlagen Europas sich weiterhin als tragfähig, entwicklungsfähig erweisen. Offensichtlich werden viele zivilisatorische Grundlagen Europas ohnehin von den mainstreams der übrigen Welt nach Kräften, wenn auch nicht immer tiefgründig und erfolgreich, angeeignet.

Was spricht nun dagegen, von dem heutigen Europa weiterhin innere Kraft und positive Beiträge zur Weiterentwicklung der Welt zu erwarten, vorausgesetzt es macht Fortschritte bei der Eindämmung der internationalen Ausbeutung? Ist dergleichen denn überhaupt möglich, müsste man allerdings eindringlich fragen. Ja, wenn man bereit ist, den eigenen Kapitalismus zu zivilisieren und sich den Betroffenen der internationalen kapitalistischen Ausbeutung anzunähern, sie zu berücksichtigen. Europa kann zur relativ anziehendsten Gesellschaft im globalen Vergleich werden. Die primitiv-kapitalistischen Maßstäbe, z.B.  nach ökonomischen Kennziffern, sind nicht die richtigen für tieferes gesellschaftliches Denken; der Druck, allein nach ihnen zu verfahren bzw. überhaupt alle gesellschaftlichen Prozesse in ökonomische oder soziologische  Zahlen zu pressen, ist selbst Ausdruck und Methode eines zurückbleibenden barbarischen Kapitalismus, wie er bei den beiden Konkurrenten, den USA und China, derzeit relativ am stärksten hervortritt.

 

Europa wird nicht der Reformer der Welt sein können. Es wird reichlich zu tun haben mit dem inneren Kampf gegen die übelsten dekadenten Kräfte, mit vielen untragbaren sozialen Zuständen im eigenen Innern. Europa ist heute gekennzeichnet von einem finanzkapitalistischen marodierenden Überbau, der sich nicht prinzipiell unterscheidet von dem der USA, mit dem er zudem eng verflochten ist. Insbesondere das deutsche System verfolgt eine abenteuerliche Ökopolitik, eine Art von Raubbau auch nach innen (ablesbar bspw. am jahrzehntelagen Abwärtstrend des Bildungswesens), mit der man den Verwertungsproblemen des entwickelten industriellen Kapitalismus ausweichen und noch größere Profite generieren will (hierzu habe ich meine Ansichte u.a. hier und hier und hier etwas ausführlicher dargelegt). Damit verbunden ist  eine außerordentliche selbstgerechte Verlogenheit von Politik und Medien. Kriminalität, Korruption allenthalben, ein Anwachsen des mobs…. insbesondere bei den früheren Hauptkolonialmächten Großbritannien  und Frankreich muss  erneutes Hervorbrechen Imperialistischer Kolonial- und Kriegsambitionen hier ebenfalls erwähnt werden.

Europa wird nur schrittweise Humanisierungen seiner eigenen internationalen ausbeuterischen Verhältnisse zuwege bringen – wenn es diese überhaupt genügend zu erkennen und zu ändern in der Lage ist. Aber die Tatsache, dass es selbst zunehmend Objekt größerer kapitalistischer Mächte wird, die von emanzipativen globalen Konzepten am allerweitesten entfernt sind, könnte hier Impulse freisetzen, die es selbst stärken und ihm in der Welt die richtigen Freunde verschaffen.

[1] „OBOR“ ist die Abkürzung für „One Belt One Road“, womit die chinesische Führung sowohl Landverbindungen wie auch Seeverbindungen  nach Westen meint.

[2] Das chinesische „Eurasien“-Konzept: ein Doppelkontinent mit dem Hauptelement China, der dominanten Macht, und einem abhängiger werdenden Europa, das mit China über die dazwischen liegenden Zonen fest ökonomisch und sicherheitspolitisch verbunden ist. Das US-amerikanische Konzept des Doppelkontinents besteht traditionellerweise darin, dass Kontinentaleuropa, vor allem Deutschland, immer in ausreichend starke Gegensätze zu Russland (und künftig wohl in entsprechender Weise zu China) verwickelt wird, so dass die Bestandteile des Doppelkontinents immer gegeneinander ausgespielt werden können, sich kein gemeinsamer Gegner für die USA entwickelt und die USA mittels eigener Stützpunkte auf dem Doppelkontinent und mittels ihrer überlegenen seegestützten militärischen Kräfte überall eingreifen können.

Die Europäer selbst haben mW bisher die Frage „Eurasien“ nicht thematisiert, vielleicht mit Ausnahme irgendwelcher obskurer Randpolitiker, werden das aber unter den heutigen weltpolitischen Zuspitzungen tun müssen.

[3]  Ich verwende diese herkömmlichen Periodisierungen nur der ersten bequemeren Orientierung halber, nicht wegen ihrer mittlerweile erschütterten historischen wissenschaftlichen Aussagekraft.

 

[4] Das dürfte zum Teil die befremdliche Flachheit der Ideen führender Politiker der USA, aber auch die Ahnungslosigkeit breiter Bevölkerungskreise erklären, die noch viel plumper ist als in Europa.

Nachtrag, 26. Mai 19:

Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung dieses Beitrags machten neue Meldungen klar, dass die USA nun von der bisher im Raum stehenden Variante abrücken, mit China große handelspolitische „deals“ abzuschließen, die einen Interessenausgleich bedeuten würden.

Die nun beschlossenen Maßnahmen gegen die westlichen Firmen in USA und anderswo, die Huawei bisher bspw. mit den technologisch fortgeschrittensten chips beliefern, die China – noch –  nicht selbst herstellen kann, und der neusten Software für Handys, die es ebenfalls – noch – nicht beherrscht, werden die globale wirtschaftliche und politische Struktur gravierend ändern – wenn die USA sie durchhalten.

Es geht dabei nicht nur um dem engeren Bereich, der von der Huawei-Frage umrissen wird, sondern allgemeiner um  alle Bereiche, die für Chinas Plan relevant sind, innerhalb des kommenden Jahrzehnts zur technologisch führenden Weltmacht aufzusteigen und dafür die vielfältigen wirtschaftlichen Kooperationen mit westlichen Firmen zu nutzen.

Der harte politische Kern in den USA, so wurde berichtet, ist dabei nicht der Präsident, sondern Gruppen, für die Personen wie Lightizer, Navarro, Rubio stehen; diese sollen schon in der Zeit vor Trump in diese Richtung gearbeitet haben.

In Berichten aus China ist davon die Rede, dass mit den neusten Schritten der USA nun entschieden sei, dass die bisherige enge Verschränkung der westlichen mit der chinesischen Ökonomie aufgebrochen werde. Die „Entkopplung“ sei bereits voll im Gang. soll der frühere Chef der europäischen Handelskammer in China, Wuttke, ein Deutscher, gesagt haben.

Die Kampfansage, zu der sie USA sich anscheinend nun durchgerungen haben, wird nicht nur in China und den USA selbst einiges Durcheinander anrichten. Die gesamte globale Stellung der Europäer, mit Deutschland als dem ökonomischen Schwergewicht, das sowohl mit China als auch den USA essentiell vernetzt ist, wird in Frage gestellt. Was wird aus der deutschen Autoindustrie mit ihrer  hohen Abhängigkeit von Produktionen und Märkten sowohl in China wie den USA? Was wird aus den 5G-Plänen, für die die meisten Europäer bisher nicht auf Huawei verzichten wollten? Wie sehen die Perspektiven für weitere große Kooperationen Europas mit China unter den Sammelbegriffen „Neue Seidenstraße“ bzw. „OBOR“ aus, wenn die USA sich dazu entschlossen haben, den geopolitischen Aufstieg Chinas nicht nur mit militärischen, sonder auch mit harten ökonomischen Bandagen anzugehen?

Als der Beitrag abgeschlossen wurde, hing die Entscheidung der USA im sog. „Handelsstreit“ noch in der Luft; viele Beobachter äußerten die Meinung, ein großer deal sei nach den Monaten von Getöse aus den USA doch noch wahrscheinlich. Die neue Wendung  gibt den Fragen nach der Stellung Europas in der Welt nun erheblichen neuen und ziemlich harten input.

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