Die Proteste in Hongkong


Die seit Monaten andauernden Proteste großer Massen Jugendlicher in der zu China gehörenden Sonderverwaltungszone Hongkong sind ein bedeutender Brennpunkt, dem international große Beachtung und Stellungnahmen zukommen müssen. Diese sind allerdings schwer abzuwägen und müssen in ihren Konsequenzen dreimal bedacht werden.

Nach Berichten deutscher mainstream-Medien haben die Unruhe und die Unermüdlichkeit der Protestierenden mehrere unterschiedliche Ursachen.

Der ursprüngliche Auslöser war ein Polizeigesetz, das Auslieferungen Verdächtiger an Polizei und Justiz jenseits der Grenze ermöglichen sollte, die  der chinesischen Zentralregierung unterstehen. Dieses Gesetzesvorhaben  wurde zwar schon vor geraumer Zeit unter dem Druck von Millionen Protestierender von der Hongkonger Regionalregierung unter Frau Lam zurückgezogen, jedoch konnten damit die Befürchtungen großer Teile der Hongkonger Bevölkerung, nach und nach immer stärker unter das umfassende System von Überwachung des Bürgers und seiner Rechtlosigkeit gegenüber der Staatsgewalt gedrückt zu werden, wie es im Hauptteil Chinas immer deutlicher und abstoßender zutage tritt, nicht aus der Welt geschafft werden.

Hongkong hatte bisher nach dem Willen der chinesischen Zentralregierung seine Mischkonstitution ausbauen sollen: einerseits ihr letztlich immer mehr und immer direkter unterstellt zu werden, andererseits dem internationalen Finanzkapital einen unvergleichlich attraktiven Standort sowohl für weltweite Geschäfte wie auch vor allem für Transaktionen mit der chinesischen Ökonomie zu bieten.

Die Zentralregierung bedroht jedoch mit der immer stärkeren Penetrierung des ökonomischen, politischen, polizeilich-justiziellen und kulturellen Systems von Hongkong nicht nur elementare Interessen großer Teile der Bevölkerung, sondern auch die bisherige relative Autonomie internationalen Kapitals in der Stadt. Man kann jedoch ihre Strategie kaum als Willkür oder Kurzsichtigkeit abtun, der mit einigem Entgegenkommen gegenüber den Benachteiligten Hongkongs wie auch dem internationalen Finanzkapital entgegenzuwirken wäre, das in Hongkong engagiert und zu erheblichen Teilen westlich ist.  Denn wenn die chinesische Zentralregierung auf Dauer Teile Chinas tolerieren würde, in diesem Falle etwa eine Sonderverwaltungszone Hongkong, in denen sowohl die breiteren Teile der Bevölkerung wie auch internationales Kapital und seine Vertreter weiterhin eine klar günstigere Rechtsstellung genießen würden als der chinesische Normalbürger, müsste dies allen möglichen oppositionellen Richtungen Chinas einen gewissen Auftrieb geben. Die ganze Entwicklung Chinas unter dem System Xi Jinping läuft dem jedoch entgegen. Hongkong scheint zu einem großen Dilemma für dieses System geworden zu sein.

Trotz aller notwendigen Kritik an den politischen Zuständen westlicher Staaten und vor allem an der Dominanz des großen Geldes auch in denselben: das chinesisch-kapitalistische System mit seinen kulturellen Grundprägungen durch Autoritarismus, imperiale Bürokratie und materiell abgefütterte Untertanenmentalität ist noch weniger attraktiv.

Eine Begeisterung für eine vermeintlich demokratische USA sollte jedoch unter den Protestierenden oder diejenigen Teile von ihnen, die vielleicht dazu Neigung verspüren mögen, kritisch hinterfragt werden. Überhaupt gefährden sie ihre berechtigten Interessen, wenn sie sich von den USA oder anderen Kräften im sog. Freien Westen instrumentalisieren lassen etwa in dem Sinne, dass sie auf Umgestaltungen des chinesischen Systems hinarbeiten würden, wie sie die konkurrierende Supermacht, der säkulare Gewalttäter und Massenmörder USA, sich in China wünscht, nicht etwa um der Bevölkerung im Kampf um bessere Lebensumstände zu helfen, sondern einzig um den aufstrebenden Konkurrenten von innen heraus zu schwächen. Welche Umgestaltungen in China angestrebt werden sollten, wie der künftige Status Hongkongs sich entwickeln soll, dafür können allein die Massen Chinas die richtigen Einschätzungen finden und die richtigen Entscheidungen fällen, nicht die Agenten der USA oder des kapitalistischen Westens überhaupt.

Ein wichtiger Antrieb für die Unruhe in Hongkong ist nach zahlreichen Berichten die unglaubliche soziale Ungleichheit, die nicht ab-, sondern sogar noch zugenommen hat, seitdem Hongkong an China zurückgegeben wurde. Während Millionen von Bürgern Hongkongs als Wohnraum kaum eine Containerfläche sich leisten können, werden von einigen Immobilienoligarchen  märchenhafte Profite gemacht und weder die Lokal- noch die chinesische Zentralregierung haben je in der Praxis dem auch nur etwas Einhalt geboten. Die Milliardärscliquen Hongkongs sind, so wurde es in einer Analyse unverblümt ausgedrückt, dermaßen eng mit der Führung der chinesischen regierenden Partei verknüpft, „dass Präsident Xi niemandem außer sich selbst und seinen Vorgängern die Schuld am sozialen Chaos in Hongkong geben kann.“

Insofern sind die Unruhen auch gegen diese typischen Formen des heutigen Kapitalismus und seiner Undemokratie gerichtet, wie sie derzeit weltweit, nicht nur in China, das Oberwasser haben. Auch von daher verdienen sie international große Beachtung und Sympathie.

Ich möchte mich nochmals ausdrücklich gegen jede Form der Einmischung anderer Staaten in die chinesischen, d.h. auch in die Hongkonger Angelegenheiten aussprechen. Einer der Gründe: China als Ganzes hat im 20. Jahrhundert einen großen erfolgreichen und für die ganze Welt beispielhaften Kampf gegen den Kolonialismus und Imperialismus sowohl des Westens wie des kapitalistischen Japan geführt und gewonnen. Jede chinesische Regierung, und sei sie selbst noch so massenfeindlich, kann daher jederzeit an das historische antikolonialistische Bewusstsein appellieren und ihre Bevölkerung gegen Einmischungsversuche insbesondere der USA mobilisieren.

Auch dass die letzte Kolonie auf chinesischem Boden, die britische „Kronkolonie“ Hongkong, schließlich erst vor weniger als drei Jahrzehnten dem Mutterland endlich zurückgegeben werden musste, spielt sicher im allgemeinen politischen Bewusstsein eine Rolle.

Aber wenn es darum geht, den maßlos gierigen antidemokratischen Kapitalismus zu kritisieren und sich ihm zu widersetzen, der im Westen wie in China wie auch in anderen Teilen der Welt dabei ist, sich alles unter den Nagel zu reißen und die Länder gegeneinander aufzuhetzen, dann sollten wir unsere Sympathie mit der Bewegung in Hongkong ausdrücken und mit für ihre berechtigten Anliegen werben.

 

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