Versuch einer Zwischenbilanz der bisherigen politischen Auseinandersetzungen im Zeichen von Corona

In Deutschland liegen nun vier Monate intensiver politischer Auseinandersetzungen  um den Kampf gegen die Infektionswellen des Virus SARS-CoV2 hinter uns. Es ging und geht dabei auch um Fragen, die das Medizinische weit übersteigen – Richtungsfragen des Bildungswesens, der öffentlichen Finanzen, der digitalen Überwachung, des internationalen Bevölkerungs-Managements. Solche Fragen werden weiter für Unruhe sorgen. Sie sind allerdings nicht erst durch „Corona“ entstanden; man muss sich vielmehr darüber Rechenschaft ablegen,

  • dass diese Fragen bereits sich vor der Epidemie massiv aufdrängen mussten und teilweise auch schon intensiv debattiert wurden, bspw. die untragbare Verschuldung von Staaten und Unternehmen und „unkonventionelle“ Methoden ihrer Bewältigung,

 

  • dass sie in den kommenden Jahren weiter hochkochen müssen und werden, wie auch immer das Medizinische sich entwickeln wird, ob nun bei weitgehender Überwindung von CoViD19 oder aber ständig neuer Unruhe von dieser Seite, oder auch mit neuen Erregern, auf die man sich kaum vorbereiten kann,

 

  • dass man weiterhin mit den Masken große Probleme haben wird: grundlegende gesellschaftspolitische Agenden wie die digitale Überwachung der Bevölkerung und die digitale Umgestaltung des Bildungswesens werden nicht als solche propagiert und vorangetrieben, sondern verkleidet als angeblich unvermeidliche Zwangsfolgen – „leider, trän!“ – von Epidemien, Pandemien oder anderen Notlagen. Man wird mehr Klarheit nicht anders erarbeiten können als mit der ständigen kritischen Frage, welche politische/ökonomische Agenda möglicherweise mit der nächsten bedrohlichen Meldung verbunden ist.

 

Ein kurzes Resumé der verschiedenen einzelnen Problemfelder, ihrer Entwicklung in den vergangenen Monaten ist nützlich, weil hier eben weitere und schärfere Auseinandersetzungen zu erwarten sind –  ob mit oder ohne Corona-Hintergrundrauschen.

1. Die lockdowns von Schulen, Kitas und anderen Einrichtungen haben Millionen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, teilweise auch ganze Familien schwersten Belastungen ausgesetzt und teilweise irreparable Verluste erzeugt. Die Vorstellung, man könne durch digitale Kommunikation das reale Bildungs- und Betreuungsgeschehen im Zusammenleben von Lehrern, Schülern und Mitschülern weitgehend ersetzen, ist völlig inhuman und fällt in den Kreis der absurden Entkörperlichungs-, Denaturierungs- und Beherrschungsprojekte, wie sie exemplarisch von Konzernen des Silicon Valley vertreten werden, aber keineswegs nur von diesen.

Die Praxis hat außerdem weiteres Auseinanderdriften der Leistungen je nach sozialem Hintergrund ergeben. Schüler, die sich zurechtfinden mussten ohne ein digital gut ausgestattetes Heim, mit störenden Geschwistern, ohne Eltern, die zur pädagogischen Hilfe bereit und fähig sind, wurden weiter abgehängt.

Es ist unstrittig, dass es mit der digitalen Ausstattung und Kompetenz vieler Schulen, Lehrer und auch Schüler nicht zum Besten steht und dass diese Bereiche gefördert werden müssen. Aber es handelt sich um Hilfsmittel, die das Wichtigste, nämlich die pädagogische Kompetenz der Schulen und das lebendige soziale Miteinander, nicht ersetzen, nur ergänzen  können. Digital vermittelter Unterricht kann Aushilfe und fallweise sogar eine Verbesserung bedeuten; als generelle Perspektive muss er scharf abgelehnt werden.

 

2. In der Wirtschaft hatten sich bereits in den letzten Jahren massive Brüche gegenüber der zuletzt gerade noch eben gut laufenden Konjunktur angekündigt. Es war bereits vor Corona deutlich geworden, dass bspw. die deutsche Autoindustrie verschiedene anstehende Disruptionen (z.B. wegen des Zwangs weg vom Verbrennungsmotor, oder auch wegen der Unsicherheiten des Chinageschäfts) nicht ohne Massenentlassungen würde überstehen können, wenn überhaupt. Im Einzelhandel, um ein weiteres Beispiel zu nennen, waren entsprechende Umbrüche ebenfalls bereits im Gang; dass Kaufhauskonzerne ebenso wie zahllose kleine Händler das Handtuch werfen müssten, wenn auch nicht so rasch und in so großer Zahl wie durch die lockdowns dann vorzeitig erzwungen, war schon lange abzusehen.

Beide Branchen sind nur Beispiele, denn die technisch und von den globalen Verhältnissen  vorangetriebene Umwälzung der Ökonomie betrifft alle, manche auch positiv. Jedenfalls aber: statt von der Fortsetzung der Nachfrage nach Arbeitskräften ausgehen zu können, wie es die deutsche Konjunktur der letzten Jahre manchen vielleicht noch vorgetäuscht haben mochte,  muss man sich nun erst recht solchen Fragen stellen wie, was aus einigen neuen Millionen von nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt „benötigten“ Mitbürgern allein in Deutschland werden soll, und in der Perspektive wahrscheinlich mit wachsenden solchen Zahlen.  Europaweit herrscht ohnehin seit langem strukturelle Arbeitslosigkeit, insbesondere für erhebliche Teile der Jugend.

 

3. Europaweit sind zahlreiche Schwachstellen des Gesundheitswesens durch Corona ins Licht gerückt worden. Es kam zu Brennpunkten von untragbarer Inhumanität, und überall, wo schreckliche Dinge vorgefallen sind, musste dann im weiteren auch von primitiv-kapitalistischer Gewinnsucht und Inkompetenz in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen berichtet werden, die es unmöglich gemacht haben, den Erkrankungen adäquat gegenüberzutreten. Hoffentlich sind solche Erfahrungen Anlass für Politik und Behörden, künftig nicht jedes Profitschema gewähren zu lassen. Kapitalismus und Gesundheitswesen stehen in höchst problematischen Wechselwirkungen.

 

4. Der obersten Ebene des EU-weiten und des internationalen Kapitalismus – dazu gehört die Welt der Staatsverschuldungen, der finanzkapitalistischen Spekulation, der Geldpolitik der Notenbanken usf. – waren bereits Jahre vor Corona neue schwere Krisen, schlimmer als die von 2008, vorausgesagt worden. Die damals zutage getretenen un-nachhaltigen Praktiken sind seitdem bekanntlich noch potenziert, nicht etwa eingeschränkt worden und neue Probleme wie die Gefahren für die Globalisierung durch die Konfrontation zwischen China und den USA sind hinzugekommen.

Aber siehe da:  schon nach wenigen Wochen medialer Pandemiepanik konnte die Europäische Zentralbank Billionen neuer Euros versprechen (und dem deutschen Sparmichel letzte Hoffnungen zerschlagen). Wirtschaftsexperten (wie D. Stelter im Campus-Verlag) konnten locker mit Vorschlägen in die Öffentlichkeit gehen, dass man in der durch Corona beflügelten Umbruchsstimmung doch besser gleich mal 8,7 Billionen statt bloß 2 kreieren solle, z.B. um endlich einmal auch die Altlasten der Staaten kreativ umzuschichten, bspw. um die bisher ungedeckten Pensions- und Rentenverpflichtungen der BRD in Billionenhöhe besser zu managen, und auch um endlich Geld für öffentliche Infrastrukturen in die Hände zu bekommen, die seit 20 und mehr Jahren vor sich hin faulen.

 

Es zeichnet sich hier das Eingeständnis ab, dass man mit der bisherigen Politik gigantischen ständigen Schuldenwachstums die Probleme nur vermehrt hat und anscheinend schon voll dabei ist, Geld nun grundlegend anders zu definieren als bisher: statt als Gegenstück realer ökonomischer Leistung (und Schulden als Gegenstücken zukünftiger Leistungen) wird es nun anscheinend eher als eine Art Schmiermittel gesehen, das überall, wo es hakt, reichlich fließen kann. Es kann fließen, weil eine Zentralbank souverän politisch darüber entscheidet, wieviel Geld in der Gesellschaft, weitgehend unabhängig von deren Leistungsfähigkeit, zu einem gegebenen Zeitpunkt zur Verfügung stehen muss. Welche gesellschaftlichen Auswirkungen wird derlei neues Denken haben? Jedenfalls keine geringen.

 

5. Die intensiven Debatten über den Datenschutz anlässlich der im Zeichen von Corona vorgeschlagenen durchgängigen Erhebung persönlicher Gesundheitsdaten, ihrer zentralen Speicherung und der resultierenden Möglichkeiten, sie für politische Zwecke zu nutzen, haben verdeutlicht, wie sehr zahlreiche Kräfte die individuellen Freiheiten – und in der Konsequenz die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger – gefährden und einschränken wollen zugunsten quasi-totalitärer IT-gestützter Überwachung, Steuerung und Bestrafung.

 

Das Beispiel Chinas zeigt, wie weitgehend das heute bereits möglich und wie begehrenswert das Alles für manche heutige Kräfte des Kapitalismus und der autoritären Regierungsweisen ist. Die Auseinandersetzungen darum sind mE für die gesamte gesellschaftliche, kulturelle und daher letztlich auch die ökonomische Entwicklung zentral. Sie waren vor Corona bereits im Gang und werden sich mit oder ohne Seuchen weiter zuspitzen. Man darf sich durch noch so große medizinische Probleme, die es zweifellos noch geben wird und die auch von bestimmten politischen Absichten her möglicherweise erst geschaffen oder intensiviert werden, nicht zu Entmündigungen erpressen lassen.

 

6. Es wurde auch die Aufmerksamkeit auf bestimmte pandemiepolitische Tendenzen auf der internationalen Ebene gelenkt. Bestimmten Akteuren des US-Kapitalismus und der politischen Vorherrschaft der USA wurde nachgesagt, sie wollten mithilfe von Test- und Impfprogrammen möglichst große Teile der Weltbevölkerung erfassen und mittels der so gewonnenen Daten neue Systeme zur Austricksung der nationalen Regierungen oder auch zur Kontrolle über die internationale Mobilität der Weltbevölkerung entwickeln, Systeme unter Kontrolle der Pharmariesen und der Silicon Valley-Kontrollmaschinerie, d.h. der USA, vielleicht auch unter Indienststellung von Organisationen wie der WHO.

Jedenfalls wären solche Bestrebungen logisch und naheliegend, wenn man die Interessen der Angesprochenen kennt und weiter verfolgt. Es geht offensichtlich um riesige neue Profitquellen, aber mehr noch um politische Herrschaft.

 

 

Die unter 1-5 angesprochenen Felder der politischen Auseinandersetzung existieren so oder so ähnlich natürlich nicht nur in unserem nationalen oder europaweiten Rahmen, und der globale Zusammenhang wird die weitere Entwicklung weiter stark mit prägen. Ich habe mich bei meinen Bemerkungen allerdings im Wesentlichen nur auf das beziehen können, was mir im nationalen Umfeld und teilweise im europaweiten Umfeld aufgefallen ist – das ist schon brisant genug. Es ist aber notwendig, die Dinge auch in solche Spannungsfelder wie die internationalen kapitalistischen Konkurrenzen und Rivalitäten (China-USA-EU) oder die extremen Spannungen zwischen der relativ reichen entwickelten Welt und den vielen Armen einzuordnen und zu analysieren. Vielleicht hat „Corona“ auch dafür einige – wohl ungewollte –  Anstöße gegeben.

Die relativ lebendige öffentliche Auseinandersetzung um Corona in Deutschland und möglicherweise auch in anderen europäischen Ländern ist in meinen Augen ein Positivum. Sie hat manche Fehlentwicklungen bisher anscheinend gebremst. Die Auseinandersetzungen werden in den nächsten Monate und Jahren allerdings weitergehen und an Schärfe möglicherweise erheblich zunehmen; dabei gilt es, mehr Verständnis für die übergeordneten politischen und gesellschaftlichen Fragen zu entwickeln. Glückauf!

 

 


 

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