Der russische Einmarsch in die Ukraine – unmittelbare und längerfristige Perspektiven

Offenbar versucht Russland die Ukraine unter Kontrolle zu bringen; die militärischen Positionen des ukrainischen Regimes im Lande werden angegriffen und fallen anscheinend rasch, unfähig zu effektivem Widerstand. Die NATO will militärisch nicht eingreifen und beschränkt sich auf Verstärkungen in ihren östlichen Mitgliedstaaten wie Polen und dem Baltikum.

Russland wird dank seiner militärischen Überlegenheit und wahrscheinlich auch dank der Unpopularität des Selensky-Regimes in großen Teilen der Ukraine selbst die militärische Kontrolle über das Territorium erlangen. Möglicherweise gelingt das im Westen der Ukraine nicht so leicht, aber das ist politisch zunächst einmal sekundär.

Was aber sind die globalen politischen Folgen der Invasion?

Putin hat wesentliche Wünsche der USA befriedigt: er hat deren Kontrolle über ihre Verbündeten namentlich in Europa verstärkt und in der Ukraine dem US- Einfluss faktisch noch mehr Grundlagen verschafft als der bisher hatte. Politisch und kulturell wird der Einfluss der USA in einer prorussisch regierten Ukraine – jedenfalls untergründig – wachsen und nicht abnehmen und eine Grundlage für ein späteres rollback sein.

Derzeit gibt sich die US-dominierte Propaganda in Europa, schäum-wut-röchel, eher als Eingeständnis einer Niederlage angesichts eines ‚noch böser als erwartet‘ agierenden Putin. Doch manches weist darauf hin, dass US-Strategen ihn jetzt eher da haben, wo sie ihn haben wollen.

Man vergegenwärtige sich Folgendes:

Die politische und mediale Polarisierung innerhalb Europas zwischen einem „freien“ europäischen Westen und einem “diktatorisch regierten“ Osten tobt und wird ausgebaut. Belarus, die Ukraine, Russland selbst, das wesentlich ebenfalls Teil Europas ist, werden ausgegrenzt. Staaten wie Deutschland, deren Wirtschaft hochgradig abhängig ist von den Lieferungen von und nach Russland, überhaupt von normalen Beziehungen zu Russland, kommen unter weiteren Druck, sich den USA unterzuordnen. Ihre Wirtschaft droht teilweise regelrecht abzustürzen, was sie zu weiteren Unterwürfigkeitsmanövern zwingt; sie müssen den US-imperialistischen Great Reset nun noch konsequenter befolgen, d.h. sich dem US- Datenfaschismus und der Liquidierung ihrer eigenständigen, hauptsächlich mittelständischen Unternehmen fügen.

Und was bedeutet der russische Vorstoß für Russland selbst? Vielleicht einen augenblicklichen Erfolg, längerfristig jedoch eine erhebliche Schwächung der eigenen Positionen, in Russland selber und international.

Dazu ein paar Hinweise:

Der russische Angriff steht unter Parolen wie „Entnazifizierung der Ukraine“ „Sturz der Banderisten“ u.ä. Was soll das bedeuten?

Hier ist ein historischer Rückblick erforderlich.

Die derzeitige russische Propaganda bezieht sich hier auf Konflikte, die die frühere Sowjetunion vor allem in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts und während des Zweiten Weltkriegs mit politischen Kräften und erheblichen Teilen der Bevölkerung des als Ukraine bezeichneten Bereichs hatte. Einen Staat „Ukraine“ hatte es zuvor nicht gegeben, sondern es handelte sich um ein Gebiet, das seit Jahrhunderten noch immer innerlich keine übergreifenden Sozialstrukturen, kein gesamtstaatliches Bewusstsein entwickelt und verschiedene wechselnde äußere Mächte als Oberherren von Teilen des Territoriums gesehen hatte, das osmanische Reich, das vereinigte Königreich Polen-Litauen, den russischen Zaren, die Habsburgermonarchie.

Die Eingliederung des Territoriums als „Staat Ukraine“ in die in den 20er Jahren entstehende Sowjetunion war keineswegs überall populär. Die Zwangsmethoden der ab etwa 1929 einsetzenden landwirtschaftlichen Kollektivierung mit ihren Konsequenzen wie Hungersnot und Massensterben haben dann die Abneigungen gegenüber einer russischen Dominanz enorm verstärkt. Es kam zu organisiertem Widerstand, der zumindest teilweise, bspw. unter der Führung eines gewissen Stefan Bandera, extrem antidemokratisch, auch antisemitisch, und antisozialistisch operierte und sich in die Nazistrategie der Niederwerfung der Sowjetunion einfügte. Der Nazieinmarsch 1941 soll dann in der Ukraine von Teilen der Bevölkerung tatsächlich als Befreiung begrüßt worden sein – eine Selbsttäuschung, die Nazideutschland allerdings sehr bald selber mit seinem extrem brutalen Besatzerregime beendete.

Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg muss sich die Sowjetunion dann in der Ukraine zumindest teilweise eine positive Reputation erworben haben durch die rasche Entwicklung von moderner Industrie, Bildung und Wissenschaft, doch scheint sie im Osten der Ukraine damit erfolgreicher gewesen zu sein als im Westen, auch aufgrund kultureller und sprachlicher Unterschiede.

Im industriell sich entwickelnden Osten, wo die russische Sprache und Kirche dominierten, ist man bis heute anscheinend eher Russland-affin, während viele im Nordwesten, der lange zu Polen bzw. später dem Habsburgerreich gehört hatte und stärker römisch-katholisch geprägt ist, eine russische Dominanz wohl bis heute stärker ablehnen als in der Mitte und erst recht im Osten der Ukraine .

Unter dem jetzt gerade zusammenbrechenden, seit etwa 2014 und dem sog. Maidan etablierten ukrainischen Regime war es in der Ukraine unter maßgeblichem US-Einfluss zur Wiederbelebung von Tendenzen gekommen, die an die frühere, mit Namen wie Bandera gekennzeichnete reaktionäre und tatsächlich wohl faschistoide Opposition gegen Russland anknüpfen und die Ukraine nach US-Wünschen zum militärischen Aufmarschgebiet gegen Russland ausbauen wollen.

Es existiert in dieser Frage allerdings ein sehr deutlicher Dissens zwischen den europäischen Staaten Deutschland und Frankreich einer-, den USA andererseits. Er hat sich u.a. in dem sog. Minsk-Format ausgedrückt, einer diplomatischen Formel für eine mit Russland gemeinsame Suche nach einem Kompromiss in der Ukrainefrage. Triumphierend tönen nun diejenigen Medien, die die EU noch stärker in die US-imperialistischen Zusammenhänge zwingen wollen, dass mit dem russischen Einmarsch „Minsk“ ja wohl nun endgültig gestorben sei.

Doch alle bisherigen Widersprüche bleiben.

Weder wird Russland mit dem Sturz des Regimes in der Ukraine und der Errichtung eines eigenen Marionettenregimes die Ukraine befrieden können, noch können die westlichen Europäer mit der demütigenden Verstärkung ihrer Abhängigkeit vom US-Imperialismus und der Abschneidung ihrer Ostverbindungen sich arrangieren.

Russland wird, wenn es tatsächlich nun darangeht, die Ukraine zu „entnazifizieren“, d.h. die „Banderisten“ und andere Kräfte auszuschalten, die gegen eine russische Oberhoheit sind, auf große Schwierigkeiten stoßen. Afghanistan lässt grüßen. Zur Erinnerung: Die bereits im Abstieg begriffene Sowjetunion hat sich mit dem Einmarsch in Afghanistan 1979 und der schließlichen Niederlage (1989) gegen die Mudjaheddin und deren US-Sponsoren selber die finale Delegitimation und die bald (1991) erfolgte Auflösung wesentlich selber eingehandelt.

Die heutigen inneren russischen Verhältnisse werden sich ebenfalls noch weniger konsolidieren, denn dort sind viele Menschen sowohl gegen russische imperiale Ansprüche wie auch gegen die Oligarchenherrschaft im Innern, welche letztlich von Putin repräsentiert wird. Schließlich muss die Aktion in der Ukraine Russland noch stärker in Abhängigkeit von China bringen, welches selber langfristig die eigene Oberherrschaft über den eurasischen Raum anstrebt und dabei eine russische Eigenständigkeit nicht prinzipiell akzeptieren wird.

Kleine Nachbemerkung: Russen und Amerikaner (genauer gesagt, die jeweiligen Machthaber) haben bereits eine lange gemeinsame Tradition der Aufteilung von Ländern, Staaten und Territorien, die ihnen nicht gehören, in ihre jeweiligen Machtbereiche. Deutschland, Korea, das frühere Jugoslawien, Syrien etc. sind Beispiele. Möglicherweise kommt dieses Schema nun erneut zur Anwendung. Es vermag aber die Widersprüche zwischen diesen „Großmächten“ nicht aus der Welt zu schaffen – nur phasenweise kann es sie einfrieren – und es erzeugt neue Widersprüche.

 

Ergänzung: lesenswerte Stellungnahme des Diplomaten Michael v.d. Schulenburg v.11.02.22

Ergänzung Nr. 2: Kai Ehlers schreibt am 24.2. u.a.;

„Anders gesagt, die Ukraine wird immer noch gebraucht, um die Russen klein- und die Europäer botmäßig zu halten. Die Ukraine spielt dabei keine Rolle, schon gar nicht ihre ohnehin darbende Bevölkerung, wie laut auch gegenwärtig ins Horn einer Solidarität mit der Ukraine gestoßen werden mag.

Für die Europäer stellt sich die Frage, wie lange sie sich entgegen ihrer fundamentalen eigenen Interessen weiter vor den Wagen einer um Aufrechterhaltung ihrer Vormacht kämpfenden Weltmacht spannen lassen wollen. Die Zeit wird es zeigen.

 

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