Vor etwa dreißig Jahren hieß es, die Wirtschaft der vormaligen DDR sei so marode, das noch vorhandene Inventar an Anlagen etc. sei so wertlos, dass es fast komplett verschrottet werden müsse; manches ging, teilweise demonstrativ für symbolische Preise von 1 US-$, an sog. Investoren aus dem Westen, aus den USA, Frankreich etc., und die große Mehrzahl der Menschen, die bislang in der DDR gearbeitet hatten, wurde arbeitslos. Wenn sie gegen die Stilllegungen protestierten, liefen sie gegen die Wand; Politiker der BRD und der DDR, die andere Auffassungen vertraten, hatten keine Chance.
https://www.dw.com/de/der-arbeitskampf-von-bischofferode/a-18037900
Meine Vermutung: jetzt ist die BRD, die sich an diesem Prozess unter der Fuchtel der USA maßgeblich beteiligt und lange Zeit sich als seinen Profiteur gemodelt hat, selber an der Reihe.
Aber zunächst einmal zurück zur Lage Anfang der 90er Jahre, ein paar Details:
Trotz der vorausgegangenen wirtschaftlichen Abwärtsentwicklung der DDR gab es noch leistungsfähige Betriebe, vor allem gab es eine große Zahl erfahrener und arbeitswilliger Arbeiter und Fachkräfte, und es gab die traditionellen Lieferbeziehungen mit den anderen Staaten des vormaligen östlichen internationalen Wirtschaftssystems COMECON: mit Russland, Tschechien, Polen etc.
All das hätte gute Grundlagen für eine Neustrukturierung, für neue Investitionen und einen ökonomischen Aufschwung abgeben können, wenn man ihn denn politisch gewollt hätte. Gewollt aber war etwas Anderes: die völlige Demütigung der Menschen und die ökonomische Ausblutung des gesamten östlichen Komplexes, der die vormals in Ansätzen sozialistische Sowjetunion zum Kern gehabt hatte und der die mit der Sowjetunion verbundenen „Ostblockstaaten“ umfasste – die allerdings überwiegend nicht freiwillig verbunden waren, wie Polen, Tschechien usf.
Nicht gewollt war auch, seitens der westlichen Siegermächte des 2. Weltkrieges, die ökonomische Stärkung und Verselbständigung, die ein vereinigtes Deutschland mit einer derartigen Politik zu erreichen drohte. Der erste Chef der Treuhand, Rohwedder, dem man Absichten unterstellte, die in diese Richtung gingen, wurde nach kurzer Amtszeit per sog. RAF aus dem Weg geräumt.
Für das, was man in den neunziger Jahren unter Jelzin an Russland vollzog: Aushungerung, Bevölkerungsverminderung und Verschleuderung des vormaligen Staatseigentums an milliardenschwere kapitalistische Abenteurer aus dem Westen und millliardengeile neue Oligarchen, finden sich am Beispiel des Schicksals der DDR nach 1991 unter der neuen Treuhand-Chefin Birgit Breuel, der Nachfolgerin des ermordeten Rohwedder, reichlich strukturelle Parallelen, wenngleich die konkreten Formen wesentlich milder ausfielen.
Im Jahre 2023 entfaltet sich nun für das ganze Deutschland, ein Land unter einem politischen System, das BRD genannt wird, ein Szenario, in dem sich einiges in größerem und radikalerem Maßstab zu wiederholen scheint.
Die traditionellen Stärken der deutschen Ökonomie und Kultur werden abgewickelt, übrigbleiben würde eine halbverelendete Landschaft ohne wesentliche Qualitäten, Menschenmassen, denen unter Profitgesichtspunkten die Existenzberechtigung abgeht; die man nach Belieben restverwerten kann.
So ungefähr die Essenz dessen, was uns unter dem Great Reset angesagt ist.
Endzeitstimmung? Nein. Es wird zwar Menschen geben, die aus einer solchen Sicht pessimistische Konsequenzen ziehen, doch wenn man die Entwicklung von Grund auf versteht, vertraut man trotz aller Härten und Absurditäten, die uns bevorstehen, auf die menschliche Natur: aus dem Chaos, aus dem Untergang des Alten entsteht in der Geschichte das Neue, das Humanere. Ohne den Bankrott des Alten, das der Menschheit und der Menschlichkeit den Kampf ansagt und ihnen das Blut aussaugt, würde es nicht genügend Inspiration und Kraft für das Neue geben, das auch hier, in Deutschland und Europa, und gerade hier, viele tiefe Wurzeln hat. Wir haben viele Wurzeln für eine neue Ökonomie des Gemeinwohls, in unserer Kultur liegen viele Ansätze für ein Miteinander ohne gegenseitige Abwertung und Ausnutzung.
Aber zunächst geht es mir darum, die konkrete Lage zu beschreiben. Wenn sie nicht einigermaßen erfasst wird, mit all dem Neuen und oft Unangenehmen, wird man in alten Mustern bleiben, man wird an Politiker appellieren, es doch bitte nicht so schlimm zu machen usf. Das ist sinnlos. Man kündigt uns bereits neue Kriege an, in die das Land selber direkt verwickelt wird. 1918 und 1945 haben gezeigt, was dabei für Deutschland herauskommt.
Nur was an neuen Strukturen aus eigener Initiative von Bürgern und Mitmenschen entsteht, zählt und hat eine Chance.
Viele Menschen spüren mittlerweile deutlich, dass es bergab geht mit Deutschland und dass es dieses Mal wesentlich ernster wird als bisher.
Dekadenz-Erscheinungen
In den 90er Jahren war bereits in den Medien bezüglich des wiedervereinigten Deutschland vom „kranken Mann Europas“ die Rede, der sich allerdings dann wieder zu erholen schien; seit dem Beginn der Corona-Krise 2020 reißen nun aber die beunruhigenden Meldungen und Prognosen überhaupt nicht mehr ab. Zusammenbrüche von Lieferketten, von Energieversorgung usf., Fachkräftemangel in vielen Bereichen …. In der Tat melden seitdem viele Firmen immer wieder Versorgungsschwierigkeiten, Teile kommen nicht oder nur sehr zögerlich, und mit der Sprengung an North Stream 2 wurde ein bedeutender Strang der Energieversorgung zerstört – andere sprangen zwar bereitwillig ein, aber dadurch wurde das Problem der starken Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten nur verlagert. Dass man aus dieser Abhängigkeit durch weitere starke Entwicklung der sog. regenerativen Energien in absehbarer Zeit und in genügendem Umfang herauskommen könne, ist völlig unrealistisch.
Mittlerweile häufen sich in der Tat beunruhigende Beobachtungen, die viele Menschen alltäglich machen können, und dies kontinuierlich. Die Mittel für den Lebensunterhalt werden knapper durch das, was man Inflation nennt, und auch die relativ großen Bevölkerungsteile, die noch ausreichende Einkommen bzw. so etwas wie Rücklagen oder Vermögen haben, sehen den Zahn der Zeit daran nagen. Man spricht von bevorstehenden dauerhaften „Wohlstandsverlusten“, ein Wort, das der großen Zahl von Mitbürgern mit prekären jobs, mit Niedriglöhnen und zu kleinen Renten wie Zynismus vorkommen muss, das aber auch anderen Sorgen macht.
Die demografische Entwicklung ist seit mehreren Jahrzehnten krass negativ und macht aus Sicht der Wirtschaft den ständigen Import von Arbeitskräften unausweichlich.
Ein anderes Feld: die Klagen über die Verschlechterung der Arbeitsleistungen vieler Akteure, namentlich Behörden und Firmen. Die Verlässlichkeit der Bahn in Deutschland erinnert mittlerweile an Entwicklungsländer, in deutlichem Kontrast zu vergleichbaren Ländern wie Frankreich oder Japan. Der Straßenverkehr kämpft mit immer mehr Hindernissen, Baustellen scheinen oft Monate und Jahre lang unbearbeitet herumzustehen und nehmen an Zahl ständig zu. Sind solche Geschichten wie die über den Ruin der Autobahnbrücken bei Leverkusen oder Lüdenscheid (und wie ihre Reparaturen sich über viele Jahre hinziehen), Ausnahmen oder eher doch bezeichnend für die Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen von Ministerien und Behörden? Dass sie Zeit und Nerven der Bürger beliebig aufs Spiel setzen und ökonomische Schäden in Höhe von –zig Milliarden verursachen, ist kaum ein öffentliches Thema, ganz im Gegensatz zu gelegentlichen kurzen Verkehrs-Stillständen bei Klimaklebereien.
Bei Kontakten mit Ämtern, aber auch Firmen entsteht nicht mehr ganz selten die Frage, ob die Sachbearbeiter am anderen Ende, wenn sie überhaupt erreichbar sind, etwas von ihren Angelegenheiten verstehen.
Der Verfall des allgemeinen Bildungsniveaus, ja selbst elementarer Techniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen ist offenkundig. Ein Viertel der Viertklässler kann nunmehr nach offiziellen Erhebungen nicht lesen; diese Entwicklung wurde durch die Unterbrechungen des normalen Schulunterrichts ‚wegen Corona‘ zwar beschleunigt, aber nicht verursacht.
Was Viele mittlerweile über ihre Erfahrungen mit Kliniken, Pflegeheimen und Ärzten zu erzählen haben, trägt auch nicht unbedingt zu einer optimistischen Einschätzung der Gesamtentwicklung bei.
Ich will die Litanei nicht fortsetzen.
Das Genannte reicht, für mein Gefühl, längst aus, um mir die Frage zu stellen: befindet sich unser Land in strukturellem Abstieg? Gehen seine positiven Eigenschaften, die lange Zeit weltweit anerkannt wurden – die negativen sowieso – nunmehr in einem mächtigen historischen Prozess verloren? Wenn ja, was für ein Prozess ist das? Wem kommt er zugute? Kann man Faktoren und Akteure identifizieren? Entstehen auch bei uns neue Ideen, neue Bewegungen, die weiterführen im Gegensatz zu dem Kulturpessimismus, in den manche Beobachter geraten?
Weil ich bei weitem nicht allein mehr stehe mit solchen Fragen, riskiere ich, hier für meine Person bestimmte Antworten zu formulieren und der Bewertung durch andere Beobachter des Geschehens zu unterziehen. Ich freue mich auf den Austausch von Meinungen.
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Der Ausdruck „Dekadenz“ ist oberflächlich, was liegt zugrunde?
Bis hierher habe ich eine Liste von Schwierigkeiten im gesellschaftlichen Leben formuliert, wie sie von Vielen erfahren werden, und zwar in einer Sprache formuliert, wie man sie im Alltag gebraucht; einer Sprache, die die Dinge zurückhaltend benennt und möglichst wenig Anstoß erregen soll. Aber ich meine, man kann tiefer gehen, man kann Zusammenhänge besser erfassen, wenn man von der Oberfläche der ökonomischen und zwischenmenschlichen Widersprüche übergeht zur Grundkategorie Verbundenheit:
Geht es bei allem Beschriebenen denn nicht darum, dass die Verbundenheiten, die bisher unsere Gesellschaft noch einigermaßen zusammengehalten haben, derzeit rapide schwächer werden, sich zersetzen, zerstört werden und dass das Leiden an dieser gesellschaftlichen Zersetzung das Allgemeine ist, die Substanz des geschichtlichen Prozesses?
Deutschland als ein besonderes geschichtliches kulturelles Gebilde, als eine Solidargemeinschaft, wie Viele das Land bisher irgendwie verstanden haben und weiter zu verstehen suchen, als eine Nation – wenn man den Ausdruck in diesem Sinne gebrauchen will, nicht als eine überhebliche Abgrenzung gegenüber anderen Gemeinschaften – Deutschland ist durch besondere, spezifische Ausformungen der gesellschaftlichen Verbundenheit geprägt, die von den spezifischen Formen anderer Länder und Nationen sich unterscheiden. Wenn wir als Bürger dieses Landes uns solcher Eigenarten vergewissern, hat das im Prinzip nichts mit Abwertung anderer Länder, Kulturen und Nationen zu tun, sondern mit der Entwicklung einer gewissen Sensibilität für die eigenen Stärken und Schwächen, die uns auch sensibler machen kann und sollte für die Stärken und Schwächen anderer, insbesondere für das, was andere besser können.
Eine jede Kultur, verstanden als die Summe, das System der ihren Angehörigen grundlegenden und oft selbstverständlichen und unhinterfragten Verhaltensweisen, als System des ökonomischen Zusammenarbeitens wie auch der Familien, der politischen Szenen und dessen, was als schön und erstrebenswert gilt, entwickelt ihre eigenen Formen, in denen die Menschen sich ihres Aufeinander-Angewiesen-Seins bewusst werden, in denen sie es praktizieren und in denen sie es negieren und zerstören.
Für Deutschland scheinen mir einige Prägungen besonders kennzeichnend:
- Das intensive Verhältnis zur Arbeit und den eigenen Produkten
- Die vielfältigen und oftmals stark wirksamen Kollektive, z.B. die formellen Sozialsysteme und die informelleren Systeme der gegenseitigen Fürsorge und Kommunikation
- Das starke Bewusstsein des nationalen Zusammenhalts, der Gefährdung durch äußere Kräfte und eine gewisse dementsprechende Engherzigkeit, und gleichzeitig die relativ große Offenheit für vieles „Äußere“, wie es sich fast gesetzmäßig entwickeln musste in dem großen Land in der Mitte Europas, wo die Einflüsse von allen Seiten zusammentreffen und viele kreative Kombinationen entstehen.
Im Einzelnen:
- Die Verbundenheit mit der Arbeit, den eigenen Produkten und deren Bedeutung für die Gesellschaft:
Benachbarte Länder wie Frankreich oder England, die im hohen Mittelalter, etwa um 1200, noch ziemlich ähnlich wie Deutschland sich entwickelten, verlegten sich spätestens seit dem 17. Jh. relativ stark auf äußere Expansion, Kolonialismus, Sklavenhandel etc. und bezogen einen erheblichen Teil des nationalen Wohlstandes von daher. Selbstverständlich konzentrierte dieser sich jederzeit zu größten Teilen bei den Reichen und Mächtigen, aber auch die unteren Schichten blieben von dieser Entwicklung nicht unberührt. Demgegenüber war die Bevölkerung Deutschlands stärker auf die Entwicklung der eigenen Ressourcen angewiesen, der eigenen begrenzten Naturvorkommen, der eigenen technischen Findigkeit und der eigenen Organisationsfähigkeiten. Während englische und französische Kolonisten im 17., 18. und 19. Jh. Nordamerika, Indien, Afrika, Indochina usf. sich unter den Nagel rissen, war Vergleichbares den deutschen Fürsten und Kapitalisten weitgehend verwehrt, ja das Land wurde im Dreißigjährigen Krieg und auch noch später selber zum Objekt von Eroberungen, vor allem seitens der französischen Krone. [1]
Selbst unter den harten Bedingungen der Industrialisierung, der Hungerlöhne und des sozialem Elends vieler Jahrzehnte prägte sich hier ein Typ von industriellem Arbeiter relativ stark heraus, der nicht nur am Lohn, sondern auch an der Qualität des eigenen Produkts interessiert war, auf die eigene Arbeit und die eigenen Qualifikationen einen gewissen nicht unberechtigten Stolz entwickelte und mit der technisch-wissenschaftlichen Sphäre der Produktionsprozesse, mit den Leistungen der Ingenieure in Wechselwirkung stand.
Diese Arbeiter waren sich der grundlegenden Bedeutung ihrer Produkte und ihrer Qualität für das gesamte gesellschaftliche Leben relativ bewusst. Sie praktizierten selbst unter harten Ausbeutungsbedingungen in dieser Weise ein hohes Maß sozialer Verbundenheit, außerdem auch eine relativ starke Organisiertheit in Arbeiterparteien, Gewerkschaften und Genossenschaften.
Bezeichnenderweise wurde ihnen von vermeintlich Radikalen gelegentlich ausgerechnet das ausdrücklich zum Vorwurf gemacht: sie klebten zu sehr am Gebrauchswert der Produkte, d.h. an ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit, statt lediglich auf den Tauschwert zu achten, auf die Quantität des Lohnes.
Arbeit lediglich als job aufzufassen, von beiden Seiten, vom Arbeitgeber wie vom abhängig Beschäftigten her, Arbeit nur unter dem Geldaspekt zu sehen und zu organisieren: vom Arbeitgeber unter dem Aspekt, dass jeder Lohn nur ein lästiger Abzug am Profit sei und jedes Produkt lediglich der Träger seines Geldwertes für seinen Hersteller; vom Beschäftigten unter dem Aspekt, dass jede Arbeitsstunde nur Abzug von eigentlichen privaten Leben sei und sich nur rechtfertige, indem sie Lohn bringt. Unternehmen und Beschäftigte, die das etwas anders sehen, bekommen Schwierigkeiten. Diese Veränderung wirkt heute nun seit Längerem auch hier immer stärker.
Der natürliche Impuls der Verbundenheit mit der eigenen Arbeit und dem arbeitenden Kollektiv, der Verbundenheit mit der Gesellschaft über die Arbeit lässt sich jedoch nicht auf Dauer völlig unterdrücken und ausreißen, er wird sich neue Formen suchen und sich neu entfalten.
2. Die vielfältigen und oftmals stark wirksamen Kollektive, z.B. die formellen Sozialsysteme und die informelleren der gegenseitigen Fürsorge und Kommunikation
Wahrscheinlich sind in keinem anderen Land während der letzten ca. 150 Jahre derart umfassende Systeme der sozialen Absicherung entstanden wie in Deutschland. Man kann gesetzliche Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, die in Deutschland im Kern bereits zu Ende des 19. Jhs. geschaffen wurden, unter verschiedenen Aspekten betrachten: als bürokratische Monster, als Produzenten einer „Vollkasko-Mentalität“, als soziales Opium, das den abhängig Beschäftigten die Durchsetzung ihrer Interessen abnehme und sie schwäche; man kann sie aber auch unter dem Aspekt betrachten, dass hier umfassende Systeme tatsächlicher Verbundenheit vorliegen, der Verbundenheit der Arbeitenden mit den durch Alter oder Arbeitslosigkeit Ausscheidenden, der Gesunden mit den Kranken usf.
Diese kollektiven Systeme sind alles Andere als selbstverständlich und werden zunehmend in der Praxis infrage gestellt und erodiert.
Die private Rente unterbricht die Verbundenheit der Arbeitenden mit den Alten im selben Land. Anstelle ihres ‚Generationenvertrags‘, der Rente auf Basis der Umlage zwischen Arbeitenden und Rentnern tritt die Verwaltung privater Versicherungsverträge einzelner Individuen mit profitorientierten Finanzriesen, die ihre Gewinne in hohem Maße aus der internationalen Finanzspekulation und der krassen Ausbeutung der schwachen Länder beziehen. Viele der heute Arbeitenden scheiden auch aus dem Generationenvertrag dadurch aus, dass sie als Niedriglöhner und prekär Beschäftigte nicht mehr mit existenzsichernden späteren Zahlungen aus der staatlichen Rentenversicherung rechnen können. Das Gespenst von drohenden „Verteilungskämpfen zwischen Alt und Jung“, zwischen den Beziehern noch ausreichender (und teilweise merkwürdig fetter) Renten und denjenigen, die zwar einzahlen müssen, aber davon nichts mehr haben werden, taucht schon gelegentlich auf und ich rechne damit, dass eines Tages unter den Bedingungen realer Not versucht werden wird, jüngere Benachteiligte mit Stimmungen zu infizieren wie: ‚schickt die Alten früher auf den Friedhof, dann bekommen wir mehr aus der Rentenkasse‘.
Es wird darauf ankommen, neue ganz bewusste Formen der gesellschaftlichen ökonomischen Verbundenheit, der Fürsorge der Jungen für die Alten wie auch der Alten für die Jungen, der Gesunden für die Kranken, der wirtschaftlich Stärkeren für die Schwächeren usf. zu entwickeln (und natürlich von den noch existierenden nützlichen Systemen so viel wie möglich zu retten).
Die zahlreichen nicht-staatlichen sozialen Formen, die auf mitbürgerlicher, nachbarschaftlicher, kommunaler Verbundenheit basieren, wie auch Vereine, kirchliche und säkulare Fürsorge usf, streife ich hier nur. Sie wirken sozialer Isolation entgegen und verhindern tendenziell völlige Verelendung und sind in Deutschland traditionell stark entwickelt. Sie prägen unsere Kultur deutlich mit. Entsprechend deutlich sind auch hier Abnahme, Zerstörung zu verzeichnen, die mit den erklärten und mehr noch den versteckten Bestrebungen von gewissen Reichen und Mächtigen, die Menschen zu vereinzeln, zusammenhängen.
3. Das starke Bewusstsein des nationalen Zusammenhalts, der Gefährdung durch äußere Kräfte und eine gewisse dementsprechende Engherzigkeit bis hin zum Chauvinismus – und gleichzeitig die relativ große Offenheit für vieles „Äußere“, wie es sich fast gesetzmäßig entwickeln musste in dem großen Land in der Mitte Europas, wo die Einflüsse von allen Seiten zusammentreffen und viele kreative Kombinationen entstehen.
Die politischen Strukturen Deutschlands seit der Lösung aus dem europäischen Frankenreich der Karolinger und den ersten deutschen Königen im 10. Jahrhundert unterschieden sich von denen etwa Frankreichs und Englands in der Entwicklung durch das Mittelalter und die frühe Neuzeit hindurch meist durch die relative Schwäche der Zentralgewalt. Die reale Macht verteilte sich in Deutschland über viele Jahrhunderte hin zwischen vielen relativ starken Territorialstaaten sowie auch vielen relativ autonomen Städten einer- und dem König bzw. Kaiser andererseits, während sie anderswo nach und nach stärker beim König (einem „absoluten“ Herrscher wie Ludwig XIV. in Frankreich) oder einem umfassenden Bourgeoisregime zentralisiert wurde (wie in England seit der ‚glorious revolution‘ von 1688 und der Gründung der bank of England 1694). Der Anspruch des Kaisertums, das Karl d. Gr. um 800 inaugurierte, als Oberherrschaft über das christliche Europa blieb Schimäre.
Man kann durchaus auch positive Kehrseiten der lange Zeit schwachen Zentralisation Deutschlands erkennen.
Namentlich seit dem Bauernkrieg und den Reformationen des 16. Jahrhunderts waren die Machthaber der deutschen Teilstaaten gezwungen, in der Konkurrenz zueinander und in der Furcht vor neuen revolutionären Eruptionen, die innere Entwicklung nicht ganz zu verspielen. Einige von ihnen verlegten sich relativ früh zum Beispiel auf die Verbesserung der Bildung breiterer Schichten. Beispielsweise waren viele Fürstenhöfe bis hinunter zu Kleinstaaten nicht nur Orte zuweilen protziger Repräsentation und eines oft obszönen Missverhältnisses zwischen dem hier konzentrierten Reichtum und dem Elend breiter Massen, zumal derer auf dem Lande, sondern sie waren immerhin oft auch Kulturzentren mit Bibliotheken und Bühnen für breitere Schichten. Hier ein Beispiel, was selbst winzige Fürstentümer kulturell unternahmen, und ein weiteres.
Einige Teilfürstentümer waren die ersten in Europa, die – bereits seit etwa 1600 – Schritte hin zur allgemeinen Schulbildung unternahmen.
Relativ zahlreich waren auch Universitäten. Zu einer derart deutlichen provinziellen Öde, wie sie das breite Land im hochzentralisierten Frankreich bis heute in gewissem Maße prägt, konnte es in Deutschland unter diesen Bedingungen nicht kommen.
Die Kritik an der ökonomischen Zersplitterung und Unterentwicklung, an dem provinziellen Muff des Systems ist zwar berechtigt, aber einseitig, weil sie die von eben diesem System mit getragene, relativ starke kulturelle Entwicklung Deutschlands nicht berücksichtigt. Diese trug dann ihre Früchte – gerade auch im Ökonomischen – in der zweiten Hälfte des 19. Jhs., als die kapitalistische Zentralisation einsetzte und – im internationalen Vergleich überraschende – ökonomische Stärken Deutschlands zeitigte. Deutschland war seitdem vor allem auch aufgrund seines relativ breiten und differenzierten Bildungssystems international unbestritten führend in vielen Wissenschaften, in Naturwissenschaften und ihren ingenieursmäßigen Anwendungen. Elektrotechnik und Chemie, Relativitätstheorie und Atomtheorie einschließlich Kernspaltung, Fernsehen u.v.a.m. wurden nicht nur, aber entscheidend in Deutschland entwickelt und noch in Nazizeiten schuf Konrad Zuse den ersten elektronischen Computer.
Auch in den Kulturwissenschaften wie Philosophie und Geschichte orientierte man sich international lange Zeit hindurch vorwiegend an den Entwicklungen in Deutschland.
Eine weitere Seite der viele Jahrhunderte währenden Kleinstaaterei Deutschlands ist wahrscheinlich in dem etwas anderen Grundgefühl zu sehen, das den deutschen Bürger traditionell relativ eng mit „seiner Obrigkeit“ verbindet. Der Territorialherr – der sächsische oder der bayrische König, ein Herzog von Sachsen-Weimar oder auch das Patriziat einer freien Reichsstadt wie Frankfurt am Main – war seinen Bürgern faktisch etwas näher und unterlag auch größerer Beaufsichtigung ‚von unten‘ als ein absolutistischer Monarch in Versailles mitsamt seinem völlig abgehobenen Adelsgefolge oder die Ausplünderer West- und Ost- Indiens, die Eigner der Kapitalgesellschaften der Londoner City. Die typisch deutsche Struktur war für feudale Brutalitäten zwar offen, wie den Verkauf von „Landeskindern“ als Soldaten an die Briten für ihren Kolonialkrieg in Nordamerika durch einen hessischen Fürsten oder wie das preußische Knüppelregime, dürfte aber doch insgesamt zu etwas mehr Ausgleich beigetragen haben. Das traditionelle Verbundenheitsgefühl vieler deutscher Bürger mit „ihrem“ Staat, mit „ihrer Obrigkeit“ hat von daher auch reale Gründe. Es ist nicht nur ein Produkt kirchlicher Disziplin und mentaler Unbeweglichkeit („Thron und Altar“ im reformierten Bereich, Bündnis der Habsburgerdynastie mit dem katholischen Klerus).
Ein kompliziertes Kapitel scheint mir von den immer wieder auftretenden Bedrohungen der territorialen Integrität Deutschlands gebildet zu werden. Zumal im Dreißigjährigen Krieg 1618-48: zu dieser Zeit war fast ganz Deutschland den Annexionsgelüsten der französischen und auch zeitweilig der schwedischen Krone ausgesetzt, die Armeen äußerer Mächte, nicht nur die Armeen der inneren Gegner, der katholischen und der protestantischen Mächte, plünderten und verbrannten große Teile Deutschlands und mordeten große Teile der Bevölkerung; Frankreich erhob sogar noch unter Napoleon III. bis hin zu Bismarcks Zeit Ansprüche auf das rechte Rheinufer. Nur Polen wurde seit den ersten Teilungen (Ende des 18. Jahrhunderts) noch mehr geschunden, während Deutschland sich zu dieser Zeit schon in einer langen Erholungsphase befand (und Preußen sich massiv an der Zerstörung Polens beteiligte).
Nicht Frankreich, noch viel weniger die Insel England waren je in einer vergleichbaren Lage. Diese Konstellation musste Gefühlen Auftrieb geben wie, dass man seine Existenz gegen äußere Feinde zu verteidigen das Recht habe – das deutsche „Nationalgefühl“ speist sich mE zu nicht geringen Teilen aus dieser speziellen Form der Verbundenheit. Man muss an dieser Stelle selbstverständlich auch vor Augen haben, dass Expansionsgelüste der neuen Eliten des wilhelminischen Reiches (ab 1871) dann in gewisser Weise den Spieß umkehrten, dass im 1. Weltkrieg unverhohlen Annexionen von Teilen Frankreichs, die Annexion Belgiens, Eroberungen im Osten und koloniale Eroberungen in allen möglichen Teilen der Welt angestrebt wurden und traditionelle und in gewisser Weise verständliche Elemente des deutschen Nationalgefühls für brutale imperialistische Abenteuer in Dienst genommen wurden. Aber man sollte auch berücksichtigen, dass dann mit der Niederlage 1918 Deutschland erneut Annexionen hinnehmen musste und fälschlicherweise als Alleinschuldiger des Krieges beschuldigt wurde mit dem Ziel seitens der Siegermächte, es als Nation permanenten neuen Demütigungen unterziehen zu können. Die Siegermächte von 1914-18 und von 1939-45 befassten sich im Ernst mit der erneuten Zerstückelung Deutschlands, der Rückführung auf die frühneuzeitliche Kleinstaaterei, mit Entvölkerungs- und Re-Agrarisierungsplänen (Morgenthau), und nur die konkreten machtpolitischen Zerwürfnisse zwischen den „Siegern“, der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich verhinderten Derartiges. Die Spaltung von 1945 war immerhin so etwas wie ein Ausläufer solcher Interessen.
Wenn man heute im Zeichen der prinzipiellen Kritik am Nationalismus und im Zeichen des Strebens nach dem Bewusstsein weltweiter Verbundenheit über die nationalen und kulturellen Trennungen hinweg sich auch das deutsche Nationalgefühl kritisch zur Brust nimmt, darf man mE nicht vergessen, dass dieses von der hier skizzierten konkreten deutschen Geschichte her auch Elemente elementarer Verbundenheit enthält. Bedeutende Repräsentanten der Kultur haben es auch immer wieder einmal verstanden, diese Elemente zu verbinden mit Weltoffenheit und der Wertschätzung anderer Nationen und Kulturen, ja aller Kulturen.
Die Globalisten und Transhumanisten negieren prinzipiell die Nationen und die Nationalstaaten und arbeiten derzeit an der Installierung einer multipolaren Aufteilung der Welt unter die mächtigsten Eliten wie bpsw. die Eliten der USA oder Chinas. Traditionelle politische Systeme wie nationale Parlamente und gewählte Regierungen, allgemeine Wahlen usf. gehören für sie der Vergangenheit an, an ihre Stelle treten weltweit einige wenige Machtzentren, eben die Pole einer sog. Multipolarität, die die Bevölkerungen zahlreicher Staaten jeweils zusammenfassen unter bürokratischen Regierungen, die der Kontrolle durch nationale Wahlen faktisch entzogen und lediglich ihren Geldgebern, den größten Finanz-, Digital-, Pharma- und sonstigen Konglomeraten verantwortlich sind. Ein Beispiel ist die EU-Bürokratie.
Manche fragen sich , warum Deutschland so besonders betroffen war und weiter ist von der Hartnäckigkeit, mit der die Parteien und Regierungen die – auch wirtschaftlich - ruinösen Zwangsmaßnahmen der Corona-Episode durchgezogen haben und bis heute sich der Kritik daran entziehen, auch von der Blockade der Debatte in sämtlichen etablierten Medien, Gibt es dafür globale Parallelen? Gibt es in den Interessen der übergeordneten Machtgruppen wie des US-Komplexes spezielle Motive, warum Deutschland so gnadenlos heruntergefahren wurde und nunmehr anscheinend vor noch umfassenderer und andauernder Herabdrückung, ja vielleicht tatsächlich vor so etwas wie seiner historischen Abwicklung steht? Vor der Zerstörung aller der tiefgehenden Verbundenheiten, die das Land jahrhundertelang geprägt hatten und auch zu der zeitweiligen außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit in ökonomischer und kultureller Hinsicht wesentlich beigetragen haben? Zu Ende des 19. Jahrhunderts blamierte es damit die traditionellen Kolonialmächte England und Frankreich, es rappelte sich aus der Niederlage von 1918 wieder hoch und selbst nach einer zweiten großen Niederlage 1945, der weitgehenden Zerstörung und der Teilung in zwei Staaten kamen seine traditionellen Stärken doch wieder erneut zum Tragen.
Vielleicht sind es mehrere für Deutschland historisch und geopolitisch prägende Besonderheiten, die gründlicher als bisher zerstört werden müssen, wenn die Globalisten ihre derzeitigen geopolitischen Konzepte realisieren wollen. Vielleicht sind es die erwähnten starken inneren Verbundenheiten, vielleicht ist es auch die geografische Mittel- und Mittlerstellung zwischen Ost und West[2]. Mit der „Multipolarität“ wird jede eigenständige Qualität Deutschlands, seine ökonomische Stärke, sein politisch-kultureller Anspruch, wie er sich etwa im Grundgesetz noch niederschlägt, und auch der generelle demokratische emanzipatorische Anspruch, der sich aus der Zeit der Aufklärung und der Weimar-Jenaer Klassik herleitet, zum Störfaktor.
Unter derartigen Gesichtspunkten könnte man mE versuchen, die offensichtlichen Dekadenzerscheinungen Deutschland tiefer zu verstehen, und zwar als wesentlich gewollte Bewegungen innerhalb globaler Umstrukturierungen, deren Treiber man pauschal als Globalisten, Transhumanisten und Multipolaristen identifizieren würde.
An dieser Stelle breche ich erneut ab, obwohl bislang Vieles nur angerissen wurde und vielleichtauch fragwürdige Gesichtspunkte zur Geltung kamen.
Que faire?
Wir haben im Offenen Roten Kreis uns bereits darauf verständigt, dass Angst vor bestimmten vorgestellten Zukünften wie z.B. dem eben skizzierten Abstiegs-Szenario der schlechteste Ratgeber ist. Nicht nur, weil wir mittels Ängsten am effektivsten beherrscht werden können, auch weil wir uns selber dadurch am effektivsten lähmen. Wenn im Obigen massive Dekadenzerscheinungen an unserem geliebten Land beschrieben wurden – die weltweit viele Parallelen haben, wenngleich sie an jedem Land der Welt, sogar an jedem Ort spezifisch daherkommen -, heißt das ja keineswegs, dass sie immer stärker werden und uns schließlich unter sich begraben müssten. Wie tief das soziale und kulturelle Niveau noch sinken könnte, welche Zerstörungen wir würden hinnehmen müssen, können wir nicht wissen; wir können lediglich aufmerksamer werden für das, was ist, was wir beobachten können, und uns selber fähiger machen, mit den Herausforderungen umzugehen.
Wir wissen auch nicht, welche Entwicklungen die zahllosen gesellschaftlichen Konflikte der Welt nehmen werden und ob es immer die Extremisten des Transhumanismus, wie Schwab und Harari, und des permanenten ‚Krieges aller gegen alle‘ sein werden, die oben bleiben. Je mehr das jedoch der Fall sein würde, desto klarer würde Vielen die Notwendigkeit des völligen Brechens mit allem in uns selber, das uns mit solchen Auswüchsen problematischer Vergangenheiten verbindet.
Eine klare Schlussfolgerung ziehe ich aber doch aus dem bis hierher Ausgeführten: immer bewusster werden, wie verbunden wir alle sind, wie abhängig das individuelle Leben und Glücksstreben, die Familien, die Kommunen, die Unternehmen, die Staaten und was auch immer, von guter Kooperation sind. Das Prinzip der breiten gesellschaftlichen Nützlichkeit alles Tuns und Lassens ist ein guter Leitgedanke. Auch unsere eigene Geschichte, die Geschichte unseres Landes, wie krumm und zum Teil auch abstoßend sie in vieler Hinsicht gewesen sein mag und noch weiter werden kann, kann hier viele positive Hinweise geben.
[1] Auch Deutschland verlegte sich bekanntlich schließlich auf Kolonialpolitik, unter der Führung eines expansiven Kapitalismus und Militarismus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Zwar waren seine Kolonien von Ausmaß und Wert her bescheiden im Vergleich mit denen der alten Kolonialmächte und auch mit dem Neokolonialismus der USA, doch genügte dieser Versuch einer Neuaufteilung der Welt, um schwerste Konflikte zu aktivieren, zu einem Ersten Weltkrieg massiv beizutragen und drastische Strafen seitens der schlussendlichen Sieger nach sich zu ziehen.
[2] Zu dieser Mittlerstellung kann ich hier nur ein paar Vermutungen äußern: oberflächlich betrachtet, hat sie die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 zu so etwas wie einer Schaukelpolitik zwischen den USA und der Sowjetunion, später Russland, gezwungen. Aber vielleicht kann man die Dinge auch so sehen, dass diese „Supermächte“ ihrerseits gezwungen waren, um nämlich die Nutzung der Exzellenzen Deutschlands für ihre jeweiligen eigenen Machtinteressen nicht zu verlieren, unserem Land Konzessionen machen mussten und große Zerstörungen im Herzen Europas nicht erneut zulassen konnten. Diese Epoche geht nun dem Ende entgegen.