Der Konflikt um Gaza entwickelt sich immer zerstörerischer

Auf globaler verantwortlicher Ebene wird dies in großer Schärfe wahrgenommen und benannt, bspw. durch den Generalsekretär der UN, Guterres.

Guterres sprach am 22.12.23 von einem „Albtraum“ („nightmare“), den die Bevölkerung Gazas durchmache. Laut der website der UN sagte er:

“He outlined devastation that includes more than 20,000 Palestinians reportedly killed and 1.9 million people, 85 per cent of the population, forced to flee their homes.

Gaza’s health system is on its knees, clean water is at a trickle and the World Food Programme (WFP) has warned of the threat of widespread famine.”

„Er zeichnete das Bild einer Verwüstung, die über 20.000 Palästinenser, die Berichten zufolge getötet worden waren, und 1,9 Millionen Menschen, 85% der Bevölkerung, einschließt, die zur Flucht aus ihren Heimstätten gezwungen waren.

Das Gesundheitssystem in Gaza ist in die Knie gegangen, sauberes Wasser tröpfelt nur noch und das Welt-Ernährungsprogramm (WFP) hat vor der Gefahr weitverbreiteter Hungersnot gewarnt.“ (meine Übs., wgr)

Guterres sprach die Hoffnung aus, der UN-Sicherheitsrat werde eine Resolution mit der Forderung eines sofortigen Waffenstillstands beschließen. Diese kam jedoch aufgrund des Widerstandes hauptsächlich der USA nicht zustande, sondern lediglich ein Appell, humanitäre Hilfe für die Bevölkerung Gazas zu ermöglichen.

Die Organisation „Human Rights Watch“ mit Sitz in New York wandte sich am 18.12. 23 an die Öffentlichkeit und beschuldigte die Regierung Israels, den Hungertod von Zivilisten als Kriegswaffe einzusetzen und zu diesem Zweck humanitäre Hilfe, außer in ganz geringem Ausmaß, systematisch zu unterbinden. Human Rights Watch schreibt u.a., israelische Amtsträger hätten erklärt, ihr Ziel sei, Zivilisten in Gaza von der Versorgung mit Nahrung, Wasser und Treibstoff abzuschneiden; israelische Streitkräfte blockierten absichtlich deren Zulieferung, behinderten willkürlich humanitäre Hilfe, zerstörten Ackerland und schnitten die Zivilbevölkerung von Dingen ab, die für ihr Überleben unverzichtbar seien.

Um zu einer genaueren Beurteilung der Lage beizutragen, referiere ich hier zunächst einige Basisinformationen über Gaza, s. Wiki.

Der sog. Gazastreifen ist ein schmaler Landstreifen an der Mittelmeerküste, der eigentlich zu Ägypten gehört, aber seit dem Krieg 1948/9 von Israel kontrolliert wird. Auf einer Fläche von 380 Quadratkilometern, ein Viertel mehr als eine westdeutsche Großstadt wie Dortmund mit 280 Quadratkilometern, leben dichtgedrängt nach heutigen Schätzungen ca. 2,2 Millionen Menschen, die wirtschaftlich fast völlig von der Zufuhr alles Lebenswichtigen an  Energie, Lebensmitteln, medizinischem Bedarf etc. von außen abhängen. Das meiste wird aus Israel geliefert und der Staat Israel ist aufgrund seiner militärischen Oberhoheit auch dafür verantwortlich, er kontrolliert mehrere Grenzübergänge. Außerdem gibt es noch einen Übergang nach Ägypten.

Der jetzige Konflikt begann bekanntlich mit einem Einbruch von Hamas-Kämpfern aus Gaza in israelisches Territorium, die in terroristischer Weise eine große Zahl von Zivilisten getötet und – nach einigen Berichten – auch furchtbar misshandelt haben. Seitdem wird die israelische Kriegführung im Gaza-Gebiet, die als Notwehr und Gegenschlag gerechtfertigt wird, immer weiter eskaliert, ohne dass zum Zeitpunkt Ende 2023 von einem Ende der Bombardierungen an der Oberfläche und des Tunnelkrieges gesprochen werden könnte.

Der Gazastreifen ist etwa 40 km lang und über die meiste Länge hinweg weniger als 10 km breit. Dieses knappe Gebiet wird nun seit fast drei Monaten von der israelischen Armee pausenlos (mit der Ausnahme eines kurzen Waffenstillstandes, der bald widerrufen wurde) beschossen und bombardiert. Im Nordteil, wo die Bevölkerung am stärksten städtisch konzentriert war, sind nach offiziellen Angaben inzwischen mehr als 60% der Gebäude zerstört oder beschädigt, die meisten Bewohner sind in den Süden Gazas geflohen, sodass nunmehr 1,9 Millionen der Gesamtbevölkerung von rd. 2.2 Mio.  Menschen dort konzentriert sind. Das beschreibt auch ein Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“  vom 22.12. 23, mit Bildmaterial.

Auch der Süden wird zunehmend bombardiert.

Die israelische Regierung hat erklärt, ihr Ziel sei die Eliminierung der Hamas-Terroristen und der Organisation Hamas überhaupt, aber sie führe den Krieg so, dass die Zivilbevölkerung maximal geschont würde; allerdings sei es unvermeidlich, dass auch diese „Kollateralschäden“ in Kauf nehmen müsse, die man aber so gering wie möglich halte.

Im Folgenden habe ich einige meiner eigenen persönlichen Fragen und Überlegungen notiert, die ich der Notiz für wert halte, auch weil ähnliche Fragen, meiner Beobachtung nach, von vielen anderen Menschen gehegt und gestellt werden.

Wie verträgt sich diese Erklärung der israelischen Regierung mit den Verlautbarungen der UN und auch einer Organisation wie „Human Rights Watch“, die auf eine ganz andere Entwicklung der israelischen Kriegführung hinweisen, nämlich auf eine gezielte Herbeiführung des Massensterbens in der Zivilbevölkerung, weniger durch direkten Beschuss als durch Blockaden der Heranführung des Lebensnotwendigsten wie Nahrung, Energie und medizinische Hilfe und durch die Zerstörung eines Großteils der Wohngebäude?

Auch was Netanjahus erklärtes Ziel betrifft, die Eliminierung der Hamas-Terroristen, ergeben sich aus dem Erwähnten weitere Fragen. Muss dieses Leiden nicht zwangsläufig zu noch mehr Hass, zur massenhaften Neurekrutierung durch terroristische Organisationen wie die Hamas führen?

Dies ist fast vorhersagbar im unmittelbaren Raum der historisch bisher unauflöslich erscheinenden, nunmehr fast 80jährigen Konfrontation zwischen dem israelischen Staat und der großenteils vertriebenen palästinensischen Bevölkerung, die in Gaza, in der Westbank und in anliegenden Staaten wie Libanon konzentriert ist.  Aber auch im Bereich der ständigen Reibungen mit den Nachbarstaaten, hauptsächlich Syrien und Libanon, und anderen sich als arabisch verstehenden Staaten wird die Konfrontation mit Israel stärker werden. Und last not least auf globaler Ebene: unter den vielen hunderten Millionen Menschen, die sich mit den Palästinensern verbunden fühlen, teilweise aufgrund des gemeinsamen, zumeist muslimischen kulturellen Erbes, aber auch aufgrund eines höheren Gesichtspunktes: dass der Widerstand gegen imperialistische Bevormundung durch westliche Staaten wie die USA und deren (bisher) engsten Verbündeten Israel zu intensivieren sei. So scheint es im „globalen Süden“ häufig gesehen zu werden, und dieser Druck ist wohl auch für den UN-Generalsekretär Guterres der Hintergrund seiner relativ klaren Äußerungen. Würde er sie nicht machen, dann würde seine Behörde in diesem „Süden“, zu dessen Anwälten sich China und auch Russland mittlerweile aufwerfen, noch weiter delegitimiert

Kann jemand wie Netanjahu tatsächlich glauben, eine „Eliminierung“ der Terroristen in Gaza, der Westbank etc. werde gelingen? Muss er nicht im Gegenteil davon ausgehen, dass unter den Palästinensern, aber auch unter den mitbetroffenen Hunderten von Millionen Menschen hauptsächlich des „Südens“ das Gefühl eine gewaltige Stärkung erfährt, man müsse mit aller militärisch-terroristischen Kraft gegen seinen Staat vorgehen und diesen seinerseits eliminieren? Dass die reale Bedrohung für seinen Staat enorm zu-, nicht abnehmen wird?

Solche Aspekte führen mich auch zu Fragen nach weiteren, „geopolitischen“ Hintergründen der Eskalation des Konflikts um Gaza und die Palästinenser überhaupt. Diesen Aspekt kann ich hier nur andeuten.

Ich sehe es so: wir erleben gegenwärtig so etwas wie eine neue Runde von Versuchen der Neuaufteilung der Welt durch herrschende Eliten, der Eliten im Westen, aber auch in China, Russland und anderswo. Nachdem der Anspruch der USA auf die Stellung als alleinige Supermacht gescheitert ist, verfallen die geldschweren Führungsschichten der verschiedenen Kraftzentren des Globus, um ihren Ansprüchen gegeneinander und ihrer Kontrolle über die Bevölkerungsmassen Geltung zu verschaffen, auf ein zeitweiliges Quasi-Nebeneinander von Räumen auf dem Globus, deren Abgrenzungen zueinander nie friedlich und dauerhaft gelingen können, sondern im Wege ständiger Abgrenzungskriege ständig neu austariert werden sollen. Man nennt das „Multipolarität“. Welche aktuellen geopolitischen Ziele in diesem Rahmen derzeit von der israelischen Regierung, aber auch der US-Regierung und anderen verfolgt werden und zum Teil wahrscheinlich auch das Vorgehen Israels in Gaza motivieren, verstehe ich derzeit noch nicht.

Die enormen menschlichen Verluste, der Kriegsfuror, der heute in Gaza und auch der Ukraine sichtbar wird, führen mich zu weiteren Fragen:

Wenn unter den Augen der ganzen Menschheit es heute möglich ist, Massen von Mitmenschen, die unter einem terroristischen Regime wie dem der Hamas zu leben gezwungen sind und aller Wahrscheinlichkeit nach in ihrer überwiegenden Masse nichts anderes für sich und ihre Schicksalsgenossen wünschen als Frieden und ein gewisses Niveau an Existenzsicherheit,

wenn solche Menschenmassen dem massenhaften Tod durch Beschuss, dem Tod durch Verhungern, Schutzlosigkeit und Seuchen ausgesetzt werden können und das bereits drei Monate lang, ohne dass vonseiten einer sog. Weltgemeinschaft Mittel gefunden würden, dem Einhalt zu gebieten außer Resolutionen und Demonstrationen, die keine praktische Wirkung haben und die verantwortliche  Regierung offenbar kaum beeindrucken,

wenn die US-Regierung trotz ihrer eigenen Mahnungen zum Schutz der Zivilbevölkerung weiterhin alles an Geld und Waffen liefert, was diese Art der Kriegführung verschlingt und in den UN schon die ersten Ansätze in Resolutionsentwürfen, die eine etwas deutlichere Sprache sprechen, blockiert,

wenn Derartiges möglich ist, was kann als nächstes kommen?

Welche Teile der Weltbevölkerung, die irgendwelchen Machthabern, Befehlshabern williger Armeen mit überlegener Kriegstechnik im Wege sind oder von ihnen ohnehin als überflüssig angesehen werden, müssten nun zu überlegen anfangen, was für ihr eigenes Überleben erforderlich ist?

Ich kann hier nur kurz daran an die markantesten Beispiele aus dem von den USA geprägten westlichen Bereich verweisen. Immer wieder, seit 200 Jahren, seit Thomas Malthus, wird eine drastische Verminderung der Weltbevölkerung gefordert, z.B. auf den Georgia Guidestones (https://de.wikipedia.org/wiki/Georgia_Guidestones). Hier heißt es, die Menschheit auf 500 Millionen (ein Fünfzehntel der heutigen ca. 8 Milliarden, wgr.) zu reduzieren, sei der Weg zum Frieden. Man lese auch bei prominenten Schriftstellern wie Yuval Harari nach, oder bereits dem Club of Rome von 1972, die ich nur als Beispiele dafür anführe, wie oft und gerne von den „Überflüssigen“, den „Zu Vielen“ geschrieben wird.

Zurück zu uns, den Bürger von Staaten wie Deutschland, deren Regierung in besonderer Weise sich mit Israel verbündet hat und offenbar, abgesehen von wirkungslosen Warnungen vor „Übertreibungen“ der Kriegsführung, Israels Ziele unterstützt, wie fragwürdig die auch sein mögen.

Solche Bürger, wenn sie sich überhaupt bewusst mit der Entwicklung auseinandersetzen, fragen sich natürlicherweise, ob sie selber etwas beitragen können, die Dinge ins Positivere zu wenden. Meines Erachtens führt jedoch das Debattieren und Kopfzerbrechen, welche „Lösung“ des Palästina-Israel-Konflikts zu befürworten sei, nicht weiter.

Wir können nicht beurteilen, wie im Konfliktgebiet die Menschen denken und empfinden und welche Ansätze sie selber sehen und praktizieren können. Wir werden auch mit Forderungen an unsere Regierung, die EU-Spitze oder die US-Regierung nicht viel bewirken, denn diese sind im Kriegsdenken festgebrannter denn je.

Unlängst forderte der deutsche Verteidigungsminister – mit Blick auf die erwarteten Konflikte im eigenen europäischen Bereich – eine massive Aufrüstung und vor allem das Bewusstsein in der Bevölkerung, dass sie selbst wieder in Kriege hineingezogen werde und Partei ergreifen müsse.

Dies und vieles andere zeigt, in meiner Auffassung, dass diejenigen Machtstrukturen, unter denen wir leben und durch die der Reichtum und die politische Anmaßung gewisser Eliten in den letzten Jahrzehnten ins Obszöne und Irreale gesteigert wurden, ins Ausweglose führen, und das betrifft mittlerweile die Bevölkerungen der Länder immer stärker mit, die bisher sich auf der Sonnenseite der weltweiten Entwicklung gefühlt haben mögen. Diese Machtstrukturen führen mit großer Wahrscheinlichkeit in noch größere Kriege und Massenvernichtungen, als Gaza oder die Ukraine jetzt bereits unmittelbar zeigen. Wer sich und der kommenden Generation solche Entwicklungen nicht zumuten will, wird Anderes tun müssen als sich für Frieden  auszusprechen und vielleicht zu demonstrieren. Was für ein Frieden soll das sein zwischen den verschiedenen Eliten und Machtgruppen der Welt, die ohne Krieg nicht mehr leben können?

Erforderlich wird der radikale Bruch mit dieser Welt der Spaltungen und Aufhetzungen.

Das Bewusstsein für die Verbundenheit Aller in dieser Welt, für die Angewiesenheit Aller auf ein konstruktives Miteinander, das Finden und Entwickeln neuer Formen gesellschaftlicher Kooperation, die sich nicht mehr in die Kriegsschemata der Eliten werden einfügen lassen, wird weiterführen. Dies ist nicht an die Beurteilungen von Konflikten wie um Gaza oder die Ukraine gebunden, die eher nur weiteres Spaltungspotential in unseren Meinungskriegen enthalten, sondern es ist an unser eigenes tägliches Leben gebunden, in dem wir Verbundenheiten wachsen lassen und politische Wachheit entwickeln können.

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