Unruhe und Neues in der Gesellschaft. Zur besonderen Lage Deutschlands.

Überblick:

– Drei Beispiele für Neues in Landwirtschaft, Philosophie und Geschlechterbeziehungen

– Warum ich viel Produktives von der neuen gesellschaftlichen Unruhe erwarte

– Zur besonderen Lage Deutschlands

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Politische Enttäuschungen, Beunruhigung und Zukunftsängste haben derzeit Konjunktur und verbreiten sich gerade auch unter relativ gutsituierten Mitbürgern. In einer solchen Welle wird leicht übersehen, dass auch Einiges an Neuem im Zusammenleben entsteht und ausprobiert wird. Zumindest in Ansätzen wird Einiges gedacht, vorgestellt und fantasiert – Fantasie ist für mich positiv konnotiert.

Drei Beispiele, die ich beachtlich finde

I. Nicht wenige Mitbürger (wenn sie sich das leisten können) befassen sich mit den Grundlagen der Ernährung und der Landwirtschaft.

Man achtet auf die ernährungsphysiologischen Qualitäten der Lebensmittel und auch auf die Naturverträglichkeit ihrer Entstehung. Es bleibt nicht verborgen, dass die Großen der internationalen Lebensmittelindustrie, des Agrobusiness und der internationalen Vermarktung in großem Stil dabei sind, immer mehr Lebensmittel zu liefern, die die Gesundheit der Konsumenten schädigen. Die natürlichen Grundlagen des Lebens von Pflanzen und Tieren werden missachtet und ruiniert, weil der kurzfristige Maximalprofit sich als  oberstes Gesetz etabliert hat und zunehmend alle anderen Gesichtspunkte verdrängt – trotz einer Flut von Biosiegeln und angeblich beachteter fairtrade-Kontrollen. Wasserressourcen werden ausgeplündert, die Bodenqualität bis zur Unfruchtbarkeit ruiniert.

Für große Teile der Weltbevölkerung, namentlich in den ‚weniger entwickelten‘ Ländern ist bereits die Versorgung mit dem Allernotwendigsten, wie schlecht auch immer es produziert sein mag und wie wenig es der Gesundheit der Esser nützt, im Wackeln und bricht hier und dort zusammen. Hunger und Unterernährung nehmen weltweit zu, seitdem der globale Kapitalismus sich auch die Produktion und die Vermarktung der Welternährung zunehmend unter den Nagel reißt.

Wie sichert man unter diesen Bedingungen die Elementarversorgung im Falle von Zusammenbrüchen durch Kriege, durch Katastrophen oder auch durch die Lebensmittelspekulation des Finanzkapitals?  Es bilden sich Gruppen, die in engen Rahmen, in lockeren Vereinigungen, kommunal und regional sich um die Grundlagen für unabhängigere, bodenständigere Produktionen kümmern. Die Gesundheit von Böden, Pflanzen und Tieren und die Gesetze der gesunden Ernährung der Menschen werden immer interessanter und man denkt auch an die Versorgung bei Kriegen und Katastrophen.

Solche Aktivitäten erfordern Fachwissen sowie auch ein gutes Miteinander der Aktiven. Gegenseitige Hilfe, Vereinsstrukturen, Genossenschaftlichkeit bieten sich hierfür besser an als privatkapitalistische, am Gewinn orientierte Formen.

II. Zu einem anscheinend ganz anderen Themenfeld: Philosophie und Soziologie.

Ich habe in den letzten Jahren den einen oder anderen Text gelesen, in denen Einiges in Frage gestellt wird, was in unserer „westlichen“, von Naturwissenschaften, Technik und weltweiter Expansion geprägten neuzeitlichen Kultur bisher selbstverständlich schien.

Stark entwickelt, zu stark und zu einseitig, erscheint offenbar manchen Autoren gerade auch eine bestimmte typisch westlich-neuzeitliche Sicht auf die Natur einschließlich der Natur des Menschen selber.

Descartes und andere Denker, die im 17. Jahrhundert sich großen Einfluss erarbeitet haben, werden hierfür als maßgeblich angeführt. Sie betonten an der Natur das Messbare, die ökonomische Nutzbarkeit, heißt es, und verstünden die Gattung Mensch eher als eine Anhäufung von Einzelwesen. Die Vorstellung von „Individuum“ als letztlichem Zentrum des Erkennens und Handelns, als Grundbaustein der Gesellschaft hängt hiermit zusammen. Menschliche Gesellschaft erscheint hier als Zusammenschluss von Individuen. Frühere Auffassungen, die mehr von den Kollektiven, den Horden, Stämmen und auch von entwickelten egalitäreren Zivilisationen geprägt sind, wurden verdrängt[2]. Der gesellschaftliche Zusammenschluss wird als mehr oder weniger freiwillige Aktion von Individuen gedacht, bzw. er ist, wenn es nicht anders geht, durch staatliche Gewalt zu erzwingen.

In einem derartigen Rahmen gehen die Individuen ihren individuellen Interessen nach, und bei  manchen Denkern ist das zuvörderst und selbstverständlich die individuelle ökonomische Bereicherung. Kapitalismus und Kolonialismus werden hier moralisch grundgelegt.

Bei manchen dieser früheren Denker erscheint das menschliche Individuum seinerseits fast wie eine Maschine, inklusive einer angenommenen Mechanik seiner/ihrer Gefühle.

Einige moderne Kritiker erklären dieses Denken zu einer Einseitigkeit, einer Verirrung. Dem kann ich folgen. In meinen Augen kann erst ein Bewusstsein, dass jegliches Individuum nur aufgrund gesellschaftlicher Verbundenheit und im Naturzusammenhang existieren und sich gut entwickeln kann, aus den bereits katastrophal werdenden Entwicklungen herausführen.

Die Kritiker der Einseitigkeiten oder Verirrungen des neuzeitlichen westlichen Denkens betonen in diesem Sinne andere Aspekte. Aus meiner stichpunkthaften Lektüre nenne ich hier die Namen Hermann Schmitz („Jenseits des Naturalismus“) und Judith Butler. Dass Menschen Teile der übergeordneten Zusammenhänge Natur und Kollektiv sind; dass sie existieren nicht nur mittels ihrer Entwicklung von Begriffen und Theorien, sondern wesentlich auch mittels ihrer „emotionalen“ Verbundenheiten in Gesellschaft und Kosmos; dass sie kreativ und unberechenbar sind – das sind einige Gesichtspunkte, wie ich sie formulieren würde und die ich Anregungen aus solchen philosophischen Milieus verdanke.

Dem entspricht ein Grundgefühl, eine Ahnung, die sich unabhängig von philosophischen Erörterungen in den letzten Jahrzehnten, meiner Beobachtung nach, bei nicht wenigen Mitbürgern entwickelt: dass wir in großen weltweiten gegenseitigen Abhängigkeiten leben und nur werden weiterleben können, wenn alle Teile, die Menschen und die sonstigen Lebewesen,  zu ihrem Recht kommen. Dieses Grundgefühl für die großen Verbundenheiten, vor allem für die globale Verbundenheit, scheint mir bereits eine gewisse Strömung zu sein.

III.

Die Abwendung vom Patriarchalismus und die Entwicklung andersartiger Beziehungen.

Bereits im 19. Jahrhundert wurde von Kulturkritikern gesagt, dass noch vor aller Aufspaltung der Gesellschaften in soziale Klassen, die vor allem durch unterschiedliche Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum unterschieden werden können[3], bereits vor vielen Tausenden von Jahren eine erste fundamentale Spaltung sich zu entwickeln begonnen habe, nämlich die Unterdrückung der Frauen und ihre Instrumentalisierung für – männlich geprägte – Interessen sexueller und privatökonomischer Art.

Seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts haben nach und nach zwar Kämpfe für die gleichberechtigte Teilhabe der weiblichen Bürger am politischen Leben sich entwickelt – nach und nach einigermaßen in die Breite und Tiefe, und erst heute hat sich in den Gesetzen mancher Länder Einiges zum Besseren geändert. Nun aber werden in den aktuellen Diskussionen auch tiefer liegende und noch sehr verbreitete Selbstverständlichkeiten ausgeleuchtet. Kulturen männlicher Überlegenheit geraten in Verruf, aber auch Dinge, die – in meiner Sicht – noch viel tiefer liegen:  dass überhaupt in den Beziehungen zwischen den Menschen sexuelle oder überhaupt körperlich-seelische Unterschiede zu Ansatzpunkten wechselseitiger Ausnutzungen, Entwürdigungen und Herabstufungen genutzt werden können und in so vielen Fällen tatsächlich noch immer werden, ob nun von „Gleichberechtigung“ geredet wird oder auch nicht.

Vielleicht ist es etwas zu pathetisch und auch verfrüht von einem Ansatz zu sprechen, der das Potential hat, wesentlich zu einer neuen Gesellschaft beizutragen, in der der kulturelle und ethische Ballast von vielen Tausenden von Jahren der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – Ballast, der sich seit dem Beginn der Abwertung der Frauen angehäuft hat – weggewälzt würde. Vielleicht auch nicht.

Es ist in meinen Augen jedenfalls eine bedeutende Leistung vieler Aktivisten, Autoren und Bewegungen, die Sensibilität in der Gesellschaft für die vielfältigen und oft ganz unbewussten Traditionen und Gefühle patriarchalischer und sexistischer Art zu wecken und damit einen Beitrag zu kommenden Gesellschaftsformen zu leisten, in denen die Menschenwürde besser zur Geltung kommt.

Warum ich viel Produktives von der neuen gesellschaftlichen Unruhe erwarte

In den letzten vier Jahren ist die politische Szene – in meiner Wahrnehmung – viel lebendiger geworden. Seit den aufwühlenden Jahren um 1968 herum sind grundsätzliche Fragen über die Gesellschaftsordnung nicht mehr von so vielen Menschen und so tiefgehend angeschnitten worden. Weit über die Pandemie-Themen hinaus ist Unruhe zu spüren. Kontrollkapitalismus, Verarmung und permanente Kriege zeichnen sich ab und werden, da bin ich sicher, nicht mehr verschwinden. Was führt die Gesellschaft in solche Härten hinein, welche Grundlagen hat diese Entwicklung, entwickeln sich Ideen und reale Grundlagen für gesellschaftliche Umwälzungen, die vom Wesen her günstiger und friedlicher für die große globale Mehrheit sein können?

Es wird eingewandt: die Auseinandersetzungen in den sozialen Medien sind häufig unerfreulich, niveaulos, von negativen Emotionen, Feindschaft, Hass, Abwertung Andersdenkender usw. geprägt. Dem möchte ich nicht widersprechen, allerdings nicht ohne die Frage zu stellen, ob es nicht fundamental im Interesse der Herrschenden ist, wenn Spaltung auf Spaltung in der Bevölkerung entsteht und die gemeinsamen Interessen nicht mehr artikuliert werden können.

Ich möchte weiter einwenden, dass mittlerweile auch ein neues, andersartiges Milieu in der öffentlichen medialen Auseinandersetzung zu beobachten ist: Autoren, Künstler und Journalisten, die professionell und unabhängig von den mittlerweile durchgängigen Finanzierungen der offiziellen Medien durch irgendwelche Interessengruppen (nicht nur durch private Stiftungen, sondern auch durch zweifelhafte Regierungen) an den Problemen arbeiten. Als Beispiele für derartige Arbeiten an der Aufklärung über das politische Geschehen, denen auch ich persönlich viel verdanke, möchte ich in Deutschland Norbert Häring und das Magazin „Multipolar“ unter der Leitung von Paul Schreyer und Stefan Korinth nennen, im englischsprachigen Bereich Autoren wie Iain Davis oder das Magazin „Off Guardian“. Sie sind aber nicht die Einzigen, und wahrscheinlich gibt es ähnliche Leistungen auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Italien.

Leider fehlt mir bisher jede Möglichkeit etwas über entsprechende Entwicklungen in China oder anderen großen Weltbereichen zu erfahren. Auch die Genannten scheinen solche Möglichkeiten bisher nicht zu haben. Diese Einschränkungen, ich möchte fast sagen: Einhegungen auf einen begrenzten Erfahrungsbereich sind gefährlich und müssen überwunden werden.

Zum Unterschied zwischen „Widerstand“ und gesellschaftlicher Kreativität

Viele politisch bewusster werdende Mitbürger haben angesichts der Bedrohungen für Freiheit, Lebenssicherheit und Gesundheit, die ihnen mit der Pandemiepolitik ziemlich überraschend serviert wurden, sich „im Widerstand“ zu fühlen begonnen.

Eine derartige Grundkategorie entspricht allerdings nicht besonders gut dem Wesen der heutigen weltweiten Konstellationen.

Es sind vielmehr die Ängste der Superreichen in Ost und West: sie sehen die acht Milliarden Menschen, denen sie keine Versprechungen sozialer Verbesserungen mehr glaubhaft anbieten können. Unter den acht Milliarden weltweit wachsen Bewusstsein und Selbstbewusstsein angesichts der Misere, die ihnen real geboten wird. Es sind die Ängste der Milliardärsschichten weltweit vor Macht- und Kontrollverlust, aus denen die diktatorischen Anmaßungen ihrer Politik entspringen.

Stark ist letztlich keine Elite mit ihrem social credit system, mit ihrer Künstlichen Intelligenz, die den Bürger bis in die letzten Details seines Verhaltens steuern zu können beansprucht. Mir kommen solche Perspektiven eher wie Panikreaktionen einer kleinen obersten Schicht vor, die der Welt die brutalste Spaltung aller Zeiten in arm und reich und die Zerstörung aller Lebensgrundlagen in Aussicht stellt, weil sie nicht anders wirtschaften kann und auf Diktatur setzen muss.

Es geht daher in meinen Augen nicht primär um einen „Widerstand“, der die schlimmsten Spitzen einer derartigen Entwicklung abbiegen möchte, jedoch ihre ökonomischen Grundlagen kaum in Frage stellt, sondern um das gesellschaftlich Neue, das sich längst in Ansätzen entwickelt.

Das Neue zeigt sich im wachsenden Bewusstsein für das, was manche „Menschheitsfamilie“ nennen; es kann auch als Bewusstsein der weltweiten Verbundenheit und wechselseitigen Abhängigkeit der Menschen voneinander gefasst werden. Wer durch IEKA schlendert, legt sich selber die Tatsachen, wenngleich in oberflächlichen Formen bequemen Konsums, in den Einkaufswagen. Was wir kaufen können, entsteht zumeist in der Arbeit der unterschiedlichsten und entferntesten Menschen, die oft bis zum Existenzminimum ausgebeutet werden. Zumeist entstammt es zudem einer Rohstoffbeschaffung, die die Ressourcen der Menschheit ausplündert und verschleudert, als gebe es kein Morgen.

Die Globalisierung der letzten Jahrzehnte lässt uns die Tatsachen der internationalen Verbundenheit intensiver denn je spüren. Auch wenn in Zukunft die Exzesse der globalistischen kapitalistischen Zentralisierung durch dezentralere Strukturen abgelöst werden: diese werden sich global miteinander koordinieren müssen.

Das Gespür für die natürlichen Lebensgrundlagen, für die Natürlichkeit des menschlichen Lebens selber, das Gespür für die Würde jedes Mitbürgers und die Relativität von kulturellen, religiösen, politischen Gegensätzen wächst mittlerweile bei größeren Zahlen von Mitbürgern – so viel jedenfalls meine ich notieren zu dürfen. Niemand kann wissen, welche konkreten politischen Formen die Auseinandersetzung zwischen dem Alten, der sturen zerstörerischen Profitwirtschaft, und dem Neuen tatsächlich annehmen wird, aber ich bin sicher, dass diese Auseinandersetzungen vitaler und heftiger werden.

Zu denjenigen gehörend, die seit Beginn der „Pandemie“ sich gegen die Eingriffe gegen Freiheit, Selbstbestimmung und reale Gesundheit geäußert haben, war mir auch ein anderer Aspekt der Entwicklung bald klar: dass die Mehrheit der Mitbürger aus einem nachvollziehbaren Impuls heraus, vor allem aus Sorge um das Gemeinwohl sich den Maßnahmen eingeordnet hat.

Die Beschimpfungen, die die beiden Seiten einander reichlich haben zukommen lassen – die Maßnahmen-Kritiker seien Gefahren für die allgemeine Gesundheit; die der Regierung folgende Mehrheit bestehe aus Schlafschafen, die keinen Durchblick hätten – entsprangen, in meiner Sicht, zum großen Teil beide letztlich dem Wunsch nach bestmöglicher gesellschaftlicher und gemeinschaftlicher Bewältigung von großen Problemen. Zum ersten Mal seit Langem regten sich in unterschiedlichen, oft sogar sich feindselig artikulierenden Segmenten der Gesellschaft wieder Impulse, politisches Verhalten aus Prinzipien einer guten Gesamtentwicklung abzuleiten.

 

Zur besonderen Entwicklung und Rolle Deutschlands

möchte ich noch einige Bemerkungen anschließen.

Wahrscheinlich zeigen sich in diesem Land bestimmte Widersprüche der internationalen Entwicklung in sehr deutlicher und möglicherweise auch besonders zerstörerischer Weise.

Als Deutscher fühle ich mich diesem wunderbaren Land und den Tiefen seiner Entwicklung, soweit ich sie verstehe, natürlich verbunden. Es hat in bestimmten Phasen radikal Böses hervorgebracht, aber zu anderen Zeiten auch immense Impulse der Aufklärung, des Humanismus, des sozialeren Wirtschaftens (man denke hierbei an die frühere Arbeiterbewegung etwa der Zeit vor dem 1. Weltkrieg).  Beispielsweise sind in der sog.  deutschen Klassik der Zeit um 1800 (man denke an die Zentren wie Weimar und Jena, an Goethe, die Humboldts, Hegel und zahlreiche andere) die Grundlagen der Entwicklung von Natur, Gesellschaft und Kultur tiefgründig durchdacht worden, noch bevor die meisten modernen Wissenschaften sich konkret entwickeln konnten. Vielleicht haben die Nazis nicht ohne Absicht das KZ Buchenwald direkt neben Weimar platziert.

Im 20. Jahrhundert wurde das Land zudem ein Brennpunkt der globalen Großmachtrivalitäten. Ich meine hier nicht nur, dass arrogante und gierige Führungsschichten Deutschlands zweimal versucht haben, in die Riege der großen Imperialisten vorzustoßen (zunächst in Form des Militarismus und Imperialismus, der wesentliche Anteile an der Konstellation des 1. Weltkriegs hatte, dann in der Form des nationalsozialistischen Eroberungs- und Versklavungswahns), sondern auch, dass das Land selbst Objekt und Schauplatz der Rivalitäten der wirklichen Großmächte war und bis heute ist.

Deutschlands heutige Lage kann noch immer unter dem Aspekt beschrieben werden, dass es eine Mittelstellung zwischen „Ost“ und „West“ einnimmt. Bereits im Ausgang des 1. Weltkriegs baute sich die Spannung zwischen den beiden größten Mächten der folgenden Jahrzehnte auf, den USA einerseits und andererseits dem (zumindest im Ansatz) revolutionären Russland, der Sowjetunion plus dem großen Schwarm der gegen den westlichen Kolonialismus kämpfenden Länder wie China, und diese Spannung zerriss dann 1945 buchstäblich das Land in zwei Teile.

Gemäß einer geostrategischen Doktrin, die bereits mindestens ab etwa 1900 immer wieder aus den USA verlautete, darf der eurasische Doppelkontinent – von Portugal bis Wladiwostok oder Hongkong – unter keinen Umständen sich zu einer politischen Einheit vis a vis dem globalen Neokolonialismus der USA entwickeln, sondern muss immer in Spaltung gehalten werden. Andernfalls entstünde eine Macht, der die außenstehenden USA nicht mehr gewachsen wären.

Krasseste Ausformungen dieser auch und gerade von den USA seit mehr als hundert Jahren betriebenen Spaltung des eurasischen Kontinents waren die Einverleibung des im 1. Weltkrieg  geschlagenen Deutschland nach 1918 in die westliche Allianz gegenüber der entstehenden Sowjetunion, gipfelnd im Hitlerschen Schlag von 1941, der die Sowjetunion vernichten sollte und im Hintergrund langfristig  von maßgeblichen Kräften in US-Establishment mit vorbereitet worden war, und dann die „Blockkonfrontation“ an der innerdeutschen Grenze von 1945 bis 1989.

Im Zeichen der Rivalität um die Ukraine sind wir erneut Zeugen einer intensivierten Einbindung Deutschlands in westliche Interessen und Militärstrategien gegenüber Russland – und dem mittlerweile als dessen Hintergrundmacht erscheinenden China.

Allerdings hat diese West-Einbindung unseres Landes (wie man sie gröblich vereinfachend nennen könnte) niemals gut zu seiner eigenen Lage, zu den Interessen der meisten Bürger und zu seiner Kultur gepasst und folglich wurde ihr von innen heraus auch immer wieder entgegengearbeitet. Ein relativ bekanntes Beispiel kann unter Stichworten wie „Rapallo“ nachgelesen werden. Erhebliche Teile der deutschen Oberschichten, auch seiner militärischen Führungsgruppen, waren dann Gegner der Ostpläne der Nazis und wurden von ihnen entmachtet.

In unseren letzten Jahrzehnten waren die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland erneut zu großer Bedeutung für beide Seiten gewachsen und mussten durch krasses Eingreifen wie die Zerstörung von Northstream 2 kupiert werden[4]. Auf eine grobe Formel gebracht, passt die geografisch und geschichtlich gegebene Zwischenstellung Deutschlands heute erneut nicht den US-Interessen, mit der Folge, dass nun schwere Angriffswaffen und Befehlszentren der USA gegenüber Russland in Deutschland postiert werden. Ich nehme mit einer derartigen Feststellung allerdings in keiner Weise Partei für Interessen des russischen kriminellen Oligarchenregimes, das in seinem ausbeuterischen und autoritären Charakter sich nicht wesentlich von dem der USA unterscheidet.

Mir scheint es jedoch manchmal etwa so: in der gegenwärtigen globalen Auseinandersetzung um Beherrschungs- und Einflussregionen, die derzeit die USA und einige ihrer Verbündeten sich reiben lässt mit Russland und dessen Hintergrundmacht China, könnten die USA darauf setzen, Russland zu schweren militärischen Schlägen gegenüber Deutschland zu provozieren. Damit hätten sie ein langandauerndes lästiges und störendes Problem einigermaßen final aus der Welt geräumt, nämlich mit der Unzuverlässigkeit auch gleich die Existenz Deutschlands mitsamt seiner vermaledeiten  Zwischen- und Mittlerstellung. Vielleicht bliebe eine stark reduzierte und demoralisierte Restbevölkerung ohne international bedeutendes ökonomisches Potential, die man nicht besonders zu beachten bräuchte.

Zu einem derartigen Szenario – russische Atomwaffen auf Deutschland, die dieses Land im US-Interesse erledigen – passt auch recht gut die ökonomische Abwicklung Deutschlands, die mittlerweile – auch mittels der Zerstörung von Northstream2 – volle Fahrt aufzunehmen scheint. Was bereits etwa um 1975 sich abzeichnete, wird nun anscheinend zur dominanten Bewegung.

Damals wurde das Interesse an Verlagerungen von „deutschem“ Kapital ins Ausland bereits deutlich artikuliert und begann zu wesentlichen Umstrukturierungen zu führen. Als Beispiel für die heutigen Verhältnisse kann der VW-Konzern dienen, der heute den größeren Teil seiner Investitionen und Profite anderswo auf der Welt tätigt, vor allem in China. Im Trend dieser De-industrialisierung[5] sind auch solche merkwürdigen Entwicklungen zu sehen wie die mittlerweile fast vollendete Abhängigkeit Deutschlands von externen Lieferanten von Energie.

Eine Partei wie die Grünen war vom Kern ihrer ökonomischen Ziele her von Anfang an eher eine propagandistische Verkleidung dieses Kapitalstrends als eine wirkliche Umweltschutz- und Friedenspartei.

Das Szenario, das sich aus dem hier Skizzierten ergibt – weder wünsche ich es noch halte ich es für das einzige mögliche – sieht kurz und brutal so aus: nachdem die noch vorhandenen ökonomischen Stärken Deutschlands, die auch für das internationale kapitalistische Geschehen bisher unentbehrlich waren, geschleift wurden und das Land zum Austragungsort schwerer militärischer Konfrontationen umgerüstet wurde, kommen die Atombomben drauf und der Problembär ist beseitigt, finis Germaniae. Vielleicht für die Übriggebliebenen eine Situation voller Möglichkeiten, neue, bessere gesellschaftliche Formen zu entwickeln.

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Zusammenfassend möchte ich sagen, dass in manchen Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren anscheinend zunehmend rasch und zunehmend verbreitet in manchen Köpfen in Gang gekommen sind, in unserem Land und natürlich auch an vielen anderen Stellen des Globus, sich bedeutende Ansätze für große gesellschaftliche Umwälzungen zeigen. Die geschichtliche Bewegung wird nicht nur von den dystopischen und katastrophalen Trends bestimmt, wie derzeit manche das befürchten, sondern auch von denjenigen Menschen, die bessere, nicht-ausbeuterische Verhältnisse konzipieren und durchsetzen können.

 

 

 

 

 

 

 

 

[2] Anschaulich das Werk von David Graeber und David Wengrow, „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit“, das anscheinend dabei ist eine große Leserschaft zu gewinnen.

[3] Als Beispiele: die Aristokratien, die Sklaven, die Bourgeoisie, die Proletarier

[4] während die Wirtschafsbeziehungen zwischen den US-Konzernen einerseits und Russland und China andererseits sich ungeachtet militärischer Konfrontationen wie in der Ukraine offenbar relativ ungestört weiterentwickeln.

[5] dem nun auch die viele weitere inländische VW-Arbeitsplätze (und natürlich Weiteres, was daran hängt), zum Opfer fallen sollen, einigen deutlichen neuen Ankündigungen zufolge.

 

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