Überlegungen zur Weltlage anlässlich der deutschen Wahl und Trump/Musks Getöse. Was heißt „Europa ist schwach“? Gibt es auch eine Stärke Europas?

Die im Folgenden schriftlich gefassten Überlegungen enthalten wenig oder nichts an konkreten politischen Zielvorstellungen oder Aktionsempfehlungen. Ich versuche lediglich, etwas über die Rahmenbedingungen zu formulieren, die meiner Ansicht nach von  Menschen, die sich etwas Humanes und Progressives politisch zum Ziel setzen, nicht außeracht gelassen werden können.

Die Bundestagswahl vom 23.2.25 hat in der Bevölkerung ein hohes Maß an Beteiligung ausgelöst. Die Zahl der abgegebenen Wahlzettel war Rekord und es gab ein beachtliches Maß an bürgerlichen Aktivitäten wie z.B. Demonstrationen zur Migrationsfrage, meist zugunsten bestimmter Parteien oder gegen sie.

Ebensowenig wie durch die  Stimmabgaben wurde dabei der bisherige politische Rahmen, die existierenden Parteien und ihre Sicht der Welt, wesentlich in Frage gestellt. Offenbar machen sich allerdings zunehmend mehr Bürger Sorgen über die gesellschaftlichen Entwicklungen, über ihre persönliche Zukunft, und hoffen durch Wahlbeteiligung und andere Formen der politischen Aktivität den Dingen ein Momentum in eine Richtung zu geben, die sie für die richtige halten.

Das Ergebnis dieser Wahl verheißt allerdings mehr wirtschaftliche Misere und mehr außenpolitische Unsicherheit, weitere Aufrüstung, Kriegsvorbereitungen und auch innenpolitische Disziplinierung wie z.B. weiter Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Ich meinerseits hoffe, dass noch viel mehr Mitbürger aktiv werden und dabei nach und nach zu einem Stil der politischen Auseinandersetzung finden, in der auch tiefe grundsätzlichen Gegensätze in den Auffassungen und Interessen nicht zu weiteren Spaltungen führen, sondern zu Klärungen über die Realitätsbedingungen und darauf aufbauend zu mehr gemeinsamer demokratischer Aktion.

Was die meistfrequentierten Medien wie z.B. der Öffentlich Rechtliche Rundfunk und die meisten Vertreter der zu Wahlen stehenden Parteien praktizieren: für Missstände die jeweils anderen Parteien bzw. andere Regierungen und Länder verantwortlich machen und von den großen  wirtschaftlichen und politischen Entwicklungstendenzen der Welt möglichst nur eine Auswahl vordergründiger  Erscheinungen zur Sprache kommen zu lassen, soweit sie in die momentane Selbstreklame hineinpassen – davon möchte ich in den folgenden Absätzen mich möglichst freihalten.

Also zum global Fundamentalen zuerst:  der  ‚sozialen Frage‘:

…. der globalen Entwicklung der Beziehungen zwischen Armut und Reichtum. Sie ist der letzte und maßgeblichste Bezugsrahmen des gesamten politischen Geschehens, auch eines eher nur momentan und lokal wichtigen Ereignisses wie einer Bundestagswahl in einem Land wie Deutschland , und sie bestimmt in hohem Maße, oft ziemlich direkt, was hier politisch gesagt und getan wird.

Nicht nur im „Westen“ sehen wir in den letzten Jahren und schon Jahrzehnten eine anscheinend unaufhaltsame Bewegung, die einer schmalen obersten Schicht von Milliardären obszöne Zuwächse ihrer persönlichen Vermögen (und ihres öffentlichen Einflusses) garantiert, während es mit der wirtschaftlichen Auskömmlichkeit des Lebens nicht nur für Milliarden Menschen in den großen Armutszonen der Welt zumeist nicht besser, oft noch schlechter wird. Auch  in großen, bisher relativ abgesicherten Bevölkerungskreisen in entwickelten Ländern machen sich Kaufkraftverluste, Jobunsicherheit und Ängste vor Altersarmut bemerkbar.

Nicht nur die menschliche Arbeitskraft wird gegenüber der Ausbeutung weiter entmachtet, sondern die gesamte Natur wird einer gnadenlosen Vernutzung unterworfen, für die es kein Morgen geben kann und wird.

Auch China, das erst seit einigen Jahrzehnten dem modernen Kapitalismus eingegliedert wird, macht  im Prinzip eine ähnliche Entwicklung durch: nachdem es seit den neunziger Jahren in raschen Schritten zur ‚Werkbank der Welt‘ geworden war und die Führung sich bei einem größeren Teil der Bevölkerung durch Lohnerhöhungen, durch Teilhabe an städtischem Leben und modernen Zivilisationsgütern anscheinend einen gewissen Bonus gesichert hatte, wackelt dieses Modell mittlerweile schon deutlich.

Russland an dieser Stelle zu nennen ist eigentlich unangebracht, weil es aufgrund seiner geringen Bevölkerung und seiner schwachen ökonomischen Basis in einer niedrigeren Liga spielt; nur  seine geostrategische Position und seine militärischen Potenzen machen es für fast jede politische Konzeption zur „Großmacht“. Russland ist wegen seiner geografischen Lage, seiner Rolle als flächengrößtes Land und seiner militärischen Fähigkeiten, deren Grundlagen aus der Zeit des sogenannten Kalten Kriegs stammen, ein umworbener Partner sowohl der USA wie auch China; es ist, je nachdem zu welcher Allianz es mehr neigt, eine Art Joker in globalen Machtspielen. Russland hat nur etwa 150 Mio. Einwohner, wenig mehr als ein Zehntel der 1,4 Mrd. Chinas oder auch der 1, 4 Mrd. Indiens, und auch im Vergleich mit Europa (über 500 Mio. Einwohner – ohne den europäischen Teil Russlands) und den USA (340 Mio.) kann es weder an ökonomischer noch letztlich an militärischer Kraft mithalten; ich führe es hier vor allem deswegen trotzdem an, weil es derzeit fast wie eine Großmacht zwischen dem Westen und dem Osten (China) wahrgenommen bzw. öffentlich so darstellt wird. Vieles weist darauf hin, dass Russland in ähnlicher Weise wie der Westen oder China von superreichen Oligarchen dominiert wird und der Regierungsapparat gleichfalls versucht, den Bürgern  umfassende digitale Kontrollen aufzuerlegen. Ich komme weiter unten beim Thema Multipolarität auf Russlands reale globale Stellung zurück.

Konkret hat sich der Kampf zwischen Arm und Reich in allen wichtigen Zentren, in den USA, in China, in Europa, in vielen  weiteren Ländern in den letzten Jahrzehnten so entwickelt, dass das Kapital sich enorm zentralisiert hat und die ökonomische Masse und Macht weniger zentraler Finanz -, Digital – und Industriekonglomerate ständig weiter wächst, sodass unvermeidlich auch die Kluften zwischen oben und unten sich weiter vertiefen.

Die Oligarchen-Netzwerke rüsten sich für die Konfrontationen, die sie selber kommen sehen, einige von ihnen wahrscheinlich viel klarer als die Masse der Bevölkerung selber. Es werden mit enormem Aufwand Systeme der digitalen Überwachung der Bevölkerung weiterentwickelt. Dabei geht es nicht nur um die Erfassung selbst der kleinsten Lebensregung des Bürgers, vordergründig zu Zwecken der Werbung und der Konsumanreize, sondern in Wirklichkeit um die Steuerung der Meinungen, der politischen Parteinahmen und Aktivitäten jedes einzelnen Individuums wie auch der politischen und sozialen Massenbewegungen.

Wie im negativen Spiegel gegenüber diesem enormen Wissen der Herrschaftsapparate sinkt generell das Niveau von Wissen und Bildung in großen Teilen der Bevölkerung und damit die Möglichkeiten, sich zu artikulieren und gegenüber der Macht des Reichtums sich zu ermächtigen. Die Repressionsapparate werden gestärkt, Polizeien und Geheimdiensten mehr Waffen und Rechte eingeräumt und die Verfassungen weiter ausgehöhlt. Für die oligarchischen Regime ist schon der Durchschnittsbürger eigentlich ein Feind, weil er von seinen demokratischen Rechten Gebrauch machen könnte. Es erscheinen Bücher und politische Programme, welche die Demokratie massiv denunzieren, weil der Bürger angeblich zu dumm ist, im eigenen Interesse davon den richtigen Gebrauch zu machen; nur seine Unterwerfung unter zentrale digitale Steuerungen, die den Bürger zum Cyborg machen, bis hin zu Implantationen, kann ihn  vor seiner eigenen Unfähigkeit retten und die Staaten stabilisieren. Etwas Anderes als einige riesige private Konten soll von den Gemeinwesen nicht übrig bleiben.

Diese Entwicklungen erfassen den Westen im Prinzip ebenso wie etwa China, das bspw. mit seinem ‚social credit system‘ schon praktisch zeigt, wie das gehen kann.

Was bedeutet „Multipolarität“ im Zusammenhang der Frage Arm-Reich?

Die internationale Politik ist wesentlicher Bestandteil solcher Bemühungen der kapitalistischen Oligarchien in Ost und West, ihrem drohenden Untergang vorzubeugen und sich selber ewiges Leben zu sichern. Multipolarität, ein wichtiges Schlagwort seit einigen Jahren,  soll nun angeblich die Welt in Interessensphären derart aufteilen, dass die Rivalitäten, vor allem die zwischen den Oligarchen der USA und Chinas,  ausbalanciert und gedämpft werden. Neben und zwischen diesen beiden ‚Giganten‘ sollen mehrere Nebenzentren zugelassen werden wie bspw. Europa. Russland – wirst Du Dich wieder mehr den USA zuwenden? China: wirst Du mangels dieses Bundesgenossen in der Rivalität mit den USA zurückfallen? Wird Europa oder eine Allianz wichtiger europäischer Länder in der sog. multipolaren Weltordnung, die jetzt allenthalben gehypt wird, tatsächlich eigenständiger werden? Können die sozialen Beziehungen innerhalb der jeweiligen Zentren bzw. Nebenzentren verbessert werden, indem weniger in Rüstung und Krieg, mehr in die innere Verbesserung der Länder investiert wird?

Wahrscheinlich sehen beide Seiten, die Machthaber in den USA und in China, die Notwendigkeit, vorerst einige der großen Konfrontationen etwas aufzuschieben und die inneren Kräfte zu stärken, die eigenen ökonomischen und militärischen Potenzen auszubauen sowie die eigenen Bevölkerungen zu end-fügsamen Werkzeugen der Ausbeutung und der kommenden großen Kriege zu formieren. Die Multipolarität ist jedoch in meiner Sicht nur die aktuelle Form des Kampfes zwischen beiden um die Position der Nr. 1. Sie hat mit Stabilisierung der politischen Verhältnisse des Globus nichts zu tun.  Beide Supermächte verstehen sich im Grunde jeweils als die einzig mögliche und berechtigte Supermacht und können dieses Streben trotz aller Friedensversprechungen nicht aufgeben. Von tatsächlicher balancierter Teilung des Globus in feste Herrschaften und einer Respektierung der Rechte kleinerer, weniger mächtiger Länder und Ländergruppen, kann real nicht die Rede sein.

Symptomatisch an dieser Stelle der Trump-Musk-Komplex.

Er kombiniert, so weit bis jetzt erkennbar, einige Versuche zur zeitweiligen Entschärfung von bestimmten Großmachtkonfrontationen wie der in der Ukraine mit Versuchen, die innere ökonomische Basis zu stärken und gleichzeitig die Bevölkerung vermehrt unter digitale Erfassung und polizeistaatliche Disziplinierung zu stellen. Mit der Ernennung des Politikers R.F. Kennedy jr. zum Gesundheitsminister wird propagandistisch eine Aufarbeitung der unter dem label „Corona“ durchexerzierten Notstandspolitik unter Biden verbunden, aber hinsichtlich Polizeiaufrüstung und Bürgerkriegsvorbereitungen gibt es keine Lockerungen, keinerlei Re-demokratisierung. Im  Gegenteil. An anderen Stellen wie im Nahen Osten (Israel, Palästina, Gaza) ist gleichfalls keinerlei Friedfertigkeit zu erkennen. Genozid und Vertreibung finden in Trumps Deklarationen noch eine Steigerung.

Wie bereits während Trumps erster Amtszeit wird versucht, Russland aus der festen Anbindung an China herauszulösen, die die USA mit ihrer früheren Politik selber provoziert hatten. China, der Hauptrivale, soll militärisch und territorial isoliert werden. An dieser Front sind Entspannungssignale nicht zu erkennen. Die USA verzichten unter Trump keineswegs auf die Welthegemonie. Die derzeitigen Huldigungen gegenüber der Multipolarität sind taktisches Mittel in einer bedrängten Situation.  Trumps Gang versucht, einige Nebenschauplätze zu bereinigen und wieder mehr Bündnispartner zu gewinnen, um die Kräfte, die inneren wie die äußeren, für die Intensivierung des Kampfs mit China zu sammeln. Das Reich der Mitte seinerseits erringt überall auf dem Globus nach und nach die Positionen, mittels derer es die USA übertrumpfen will. Das traditionelle Selbstverständnis der chinesischen Eliten, das eigentliche Zentrum der Welt zu bilden, lebt wieder auf.

Trumps Konzept, das für Putin anscheinend tatsächlich einige Vorteile bringt, richtet sich gleichzeitig massiv gegen die europäischen Länder, auch gegen die Ukraine,  eigentlich ein Bestandteil Europas, und gegen die gesamte Bevölkerung Europas. Die Ukraine wird geteilt, der größere Teil – die Mitte und der Westen – fallen an US-Firmen, die künftig direkt die Bodenschätze und die Landwirtschaft in die Hand bekommen – auch wenn es tatsächlich eigentlich kaum Seltene Erden zu holen gibt: andere Schätze gibt es genug; der östliche Teil verbleibt bei Russland. Die europäischen Staaten sitzen bei derartigen Absprachen am Katzentisch, sollen aber ihre kränkelnde Ökonomie durch riesige Aufrüstungsprogramme weiter ruinieren dürfen und politisch eine permanente, militärisch aufgeladene Konfliktposition gegenüber Russland beziehen. Während Trumps USA den Russen großartige Geschäfte verspricht, ist von einer Reparatur von Northstream2 keine Rede. Die Energieversorgung namentlich Deutschlands wollen die USA in Händen behalten.

Die Verarmung großer Bevölkerungsteile auch in Europa wird massiv beschleunigt.

Die Spaltungstendenzen innerhalb der EU werden seitens Trump nicht weniger gefördert, symptomatisch scheint mir Musks medialer Kraftakt zur Stärkung der AfD wie auch die Turteleien mit der gleichfalls sehr fragwürdigen Regierung Italiens.

Ich möchte hier ein paar Absätze über die „Schwäche Europas“ versuchen.

Die politische Schwäche Europas bzw. der europäischen Länder und auch ihrer Zusammenschlüsse wie der EU wird in den aktuellen Konzepten Trumps unter den Vorzeichen des Ringens zwischen den USA und China noch deutlicher als bisher. Trump spricht nur das provokativ aus, was die US-Oligarchen schon immer betrieben und gewünscht haben. Dass die EU oder eine andere denkbare bedeutende Allianz europäischer Staaten sich militärisch von der Dominanz der USA in den europäischen militärischen Verhältnissen befreien würde, haben die USA nie gewünscht und auch nie wünschen können und jederzeit mit allen Mitteln untergraben. Das wird sich auch unter Trumps Gedöns nicht ändern, die Europäer seien schwach, weil sie sich nicht selber verteidigen könnten, und jetzt müssten sie aufrüsten, aufrüsten, aufrüsten und sich selber gegen die Russen verteidigen. Aufrüstungswillige wie Macron oder Stamer oder Merz können sich offenbar eine Welt ohne den letztlichen militärischen Anker USA auch weiterhin nicht vorstellen und betteln regelrecht darum.

Es gibt aber auch eine Stärke Europas. Sie wird allerdings von denjenigen, die derzeit die europäischen Länder beherrschen und gerade auch von einer Institution wie der EU, nicht repräsentiert, sondern eher weiter ruiniert, gleichwohl ist sie eine Grundgegebenheit der globalen Situation und kann auch politisch umgesetzt werden. Sie ist übrigens nicht identisch mit der Einwohnerzahl und den ökonomischen Kräften. Zwar dürfen diese nicht unterschätzt werden: je nachdem ob und wie Russland und die Türkei (die jedenfalls großenteils nicht zum europäischen Kontinent gehören) hinzugerechnet werden sowie einige noch bestehende Kolonien, kommt man auf ca. 500 bis 750 Mio. Einwohner.

Was mich vorrangig interessiert, sind die Fragen der kulturellen Stärke und der Fähigkeiten zu gedeihlicher Weiterentwicklung.

Die Frage der „Stärke Europas“ ist mit der historischen Entwicklung der Beziehungen zwischen Arm und Reich in dieser Region der Welt zutiefst verbunden, man könnte sogar sagen, dass die politische und kulturelle Identität Europas darin besteht, wie diese Beziehungen über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg ausgestaltet und vielfach ausgefochten wurden und in welchen heutigen Institutionen, in welcher Kultur und welchen Ansätzen für die Zukunft sich das niedergeschlagen hat.

In der europäischen Geschichte sind seit wenigstens 2500 Jahren die sozialen Gegensätze in einer enormen Vielfalt von Ansätzen und auch in historischen Lösungen (d.h. in zeitweiligen und in sich weiter widersprüchlichen Lösungen), in den unterschiedlichsten Gesellschaftsmodellen durchgekämpft und durchgedacht worden.

Durch alle Epochen haben sich außerhalb und unterhalb von Ausbeutungsformen wie der Sklaverei, dem Feudalismus und den bürgerlich-kapitalistischen Systemen immer auch andersartige Komplexe von Gemeineigentum und Basisdemokratie erhalten können. Offenkundigste Beispiele sind die mittelalterliche Dorfgemeinschaft und das Prinzip der Allmende, damit verwandt sind die demokratischen oder halbwegs demokratischen Prinzipien der Stadtrepubliken, die vom alten Griechenland über die römischen Verhältnisse, die mittelalterlichen Stadtfreiheiten bis heute sich nicht haben völlig  ausrotten lassen. Das ist ein wichtiges Merkmal (und wahrscheinlich zeigen sich in anderen Kulturen und Regionen Parallelen).

Auf der anderen Seite sind die Herrschafts- und Ausbeutungssysteme wie die Sklaverei, der Feudalismus und die kapitalistische Ordnung immer wieder durch politische Denker und Inspiratoren, durch Massenbewegungen und Revolutionen erschüttert worden und, wenn die Zeit reif war, ist es zur Überwindung von Verhältnissen gekommen, die nicht mehr haltbar waren, der moderne Kapitalismus harrt allerdings noch der Umwälzung.

Die antike Sklaverei wurde zwar nicht direkt durch die Sklavenaufstände, bspw. des Spartakus im Römerreich, besiegt, aber im Zuge des späteren Verfalls und Zusammenbruchs  des römischen Systems durch die Völkerwanderung und später durch Reformen innerhalb des christlich-feudalen „Mittelalters“ nach und nach überwunden. Die feudal-aristokratische Ordnung bildete sich nach der Völkerwanderungsepoche, in den Jahrhunderten vor der Zeit um 1000 heraus und war mehr als tausend Jahre in Europa die dominante, konnte aber seit dem 18. Jahrhundert, insbesondere seit der französischen Revolution, den Forderungen nach politischer Gleichheit der Bürger und nach Entfaltung der Produktivkräfte – wenngleich unter oft extrem brutalen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen – nicht standhalten.

Zwar war diese letztere Entwicklung so nur  möglich durch die gleichzeitige Expansion des europäischen Kolonialismus und durch den Reichtum, der europäischen Ländern wie  Spanien, England, den Niederlanden und Frankreich aus der brutalen Ausbeutung der halben Welt zufloss; und es gehört zu den ermutigenden kulturellen Strömungen der letzten Jahrzehnte in Europa und den USA, dass insbesondere unter jungen Menschen diese Vergangenheit aufgearbeitet und  die heutige Fortsetzung kolonialer und rassistischer Praktiken abgelehnt wird.

Gleichzeitig muss man zu Ehren der europäischen Kultur festhalten, dass Kapitalismus und Kolonialismus auch von innen her in der modernen Epoche seit der Industrialisierung immer wieder radikal in Frage  gestellt worden sind. Die Arbeiterbewegung in Europa hat größte Anstrengungen unternommen, seit den Aufständen in Frankreich ab 1830, den damaligen Bewegungen auf den britischen Inseln und insbesondere der deutschen Bewegung seit den 1860er Jahren, mit dem Kapitalismus fertig zu werden. Millionen haben ihre Leben für diese Sache eingesetzt und verloren. Das halte ich für einen ganz wesentlichen Bestandteil des europäischen Erbes und auch der kulturellen Stärke Europas, und die Stärke dieser Momente wird sich auch in der heutigen Situation – wo sie fast vergessen scheinen, aber die Probleme, mit denen sie sich auseinandergesetzt hat, noch nicht gelöst sind – wieder in neuen Formen Geltung verschaffen.

Die Fülle der bisherigen praktischen und der denkerischen Auslotung der unterschiedlichsten Formen von menschlicher gesellschaftlicher Existenz in der europäischen Geschichte wird meines Wissens von keiner anderen Kultur übertroffen, vielleicht nicht einmal erreicht. Mit dieser Ansicht ist keine Abwertung anderer Kulturen gemeint, denn dass es dazu gekommen ist, ist ein konkretes Produkt realer Entwicklungen, nicht einer Überlegenheit, die schon früh gegeben gewesen wäre oder sich geschichtlich halten würde.

Jedenfalls gibt es nicht nur eine Schwäche Europas, in den Augen macht- und kriegsgeiler Oligarchen, sondern auch Stärken, von denen Gebrauch gemacht werden kann.

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